Ein Blick auf die Hafenstadt Antwerpen, zwischen alten Meistern und einer jungen, spannenden Kreativszene.
Antwerpen habe ich mir immer ein wenig eckig vorgestellt. Vielleicht wegen der spitzen Giebeldächer am mittelalterlichen Grote Markt. Oder wegen der berühmten Diamanten, die hier so gut geschliffen werden. Im Moment sieht Antwerpen jedoch kugelrund aus, und mit Rubens hat das ausnahmsweise nichts zu tun. Eher schon mit dem Blick durchs Bullauge meiner Kajüte. Masten und bunte Wimpel tauchen im kreisrunden Ausschnitt der Fenster auf. Ab und zu segeln Möwen vorbei. Sie landen auf der gegenüberliegenden Seite des Hafenbeckens vor ziegelroten Museumsboxen, die in Summe Antwerpens neues Wahrzeichen ergeben. Museum aan de Stroom – kurz MAS – heisst der schräge Bau, und das umliegende Hafenviertel Het Eilandje hat durch ihn Rückenwind erhalten. Davon profitiert auch die alte «Hannus» – ein zum Hotelboot verwandelter Vintage-Zweimaster, der schon 1890 die Schelde rauf und runter schipperte und jetzt an der Kaimauer des Bonapartedok als Hotelboot vor Anker liegt.
Folge der gläsernen Spirale
Seebären sucht man in Antwerpens boomendem Hafenviertel trotzdem vergeblich. Die zugige Ecke ’t Eilandje und das angrenzende Schipperskwartier sind heute ein spannendes Szeneviertel mit maritimem Flair. Speicherhäuser wie der revitalisierte St.-Felix-Speicher haben sich hier in stylishe Bürokomplexe samt trendiger Restaurants verwandelt und laden nun zum Warenlagerbummel ein. Frisch lackierte Lastenaufzüge leuchten neben Galerien und den Outlets lokaler Modeschöpfer. Vor allem aber sorgt das ikonische MAS für künstlerische Perspektiven: Folgt man der gläsernen Spirale, die die einzelnen Museumssäle erschliesst, bis zur gratis begehbaren Aussichtsterrasse, dann sieht man in der Tiefe daumengrosse Menschen über ein riesiges Kunstwerk spazieren. Es ist der «Dead Skull», ein begehbares Totenkopf-Bodenmosaik des lokalen Künstlers Luc Tuymans. Ungewöhnlich sind aber auch jene beiden Figuren, die Guillaume Bijl, ein anderer Antwerpener Künstler, an die äusserste Flachdachkante des ikonischen MAS gerückt hat. Ein salutierendes Admiralspaar grüsst da Antwerpens Museumsgäste. Irgendwie passt der schwindelfreie Salut zum Fall Antwerpen – definitiv keine Postkarten-City, die es sich zwischen alten Fassaden und flämischer Küche bequem machen will. Antwerpen ist lieber aktiv. Davon zeugt einige Etagen tiefer der 360-Grad-Panoramabildschirm des MAS-Pavillons Portopolis, der zur virtuellen Hafenrundfahrt einlädt. Dann taucht ein amphibisches Labyrinth aus Wasser, Beton und bunten Blechcontainern auf, wie man das normalerweise in Krimis zu sehen bekommt. Antwerpens Seehafen gilt als zweitgrösster Europas. Die Dynamik, die sich damit verbindet, inspiriert Künstler, Architekten und Stadtentwickler auch heute. Sie prägt aktuelle Bauten wie das Port House Antwerpen, den spektakulären Kombipack der ehemaligen Feuerwache und eines facettierten Neubaus von Zaha Hadid Architects, dessen «Fassaden-Schliff» auf Antwerpens härteste Währung verweist: die hier besonders kunstfertig verarbeiteten Diamanten.
Erster prächtiger Eindruck
Still stand die Zeit in Antwerpen noch nie. Auch wenn man es sich mitunter wünschen würde. Der erste Eindruck, den viele von der belgischen Stadt haben, ist so ein Moment. Prächtiger als am Antwerpener Hauptbahnhof kann man nämlich kaum ankommen. Die 1836 begründete Centraal Station liegt zwischen Jugendstil-Zoo und dem eher zugeknöpft wirkenden Diamantenviertel. Dass sie zu den schönsten historischen Bahnhöfen der Welt zählt, entgeht selbst Vielfliegern nicht: Der Schnellzug «Diabolo» verbindet nämlich Antwerpen Centraal mit Brüssels Zaventem Airport. Wer sich alles in Ruhe betrachten möchte, sollte in die einstige Wartehalle hinüberspazieren. Sie beherbergt nun das Le Royal Café – und der Traubenmost-Cognac-Mix Pineau des Charentes ist kein schlechter Antwerpen-Aperitif.
Bauchiger Bierschaum
Aber die flämische Handelsstadt, die geniale Menschen wie Rubens beheimatet hat und zuletzt mit den Antwerp Six die Modeavantgarde Europas, macht freie Minuten zur Mangelware. Haken wir lieber zügig ein paar Jahrhunderte ab. Besonders bequem gelingt das im Café Engel. Wer dort über den bauchigen Schaum des Antwerpener Traditionsbiers De Koninck blickt und die geräucherten Rookworst-Scheibchen zur Seite schiebt, kann über den dreieckigen Marktplatz Grote Markt staunen. Prächtig restaurierte Giebelhäuser aus dem 16. Jahrhundert und Palazzi im Stil der flämisch-italienischen Renaissance reihen sich aneinander. Es sind Relikte aus einer Ära, in der Antwerpen als wichtigste Handelsmetropole Europas galt und in der sich auch die Genies jener Tage die Türklinke in die Hand gaben. Zum Thinktank der frühen Neuzeit sind es vom prächtigen Grote Markt nur wenige Schritte: Im Plantin-Moretus-Museum, einer Weltkulturerbe-Location, diskutierten einst Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus. Zur Sammlung gehören die ältesten Druckpressen der Welt und eine Gutenberg-Bibel. Wohnhaus und Atelier mit Garten im ziegelroten Innenhof – diese Kombi ist typisch für das bürgerlich geprägte flämische Milieu. Das gilt auch für die Adresse Wapper 9 – 11: Rubens’ Renaissancepalast mit Lustgarten erlaubt besondere Tuchfühlung mit dem Malerfürsten, der hier samt Familie residierte, Gäste empfing, selbst Kunst sammelte und vor allem den Grossteil seiner Meisterwerke malte. Das originale Mobiliar, schwere Gobelins und Tischgeschirr lassen Rubens, die reale Person, mit Pantoffeln am Küchentisch erahnen – eine intime Ergänzung zu den weltbekannten Werken.
Sinnliche Falten
Die Liebe zu weichen Falten und sinnlichen Farben, zum Tiefgang der schweren Stoffe und neuen Arrangements endet freilich keineswegs im Rubenshuis. Daran erinnert vor allem ein Spaziergang durchs Sint-Andries-Viertel, in dem die alte Geschichte des prächtigen Antwerpens weitergeschrieben wird. Hier ist man mitten im Fashion District angelangt, der Antwerpens Ruf als Welthauptstadt der Avantgardemode eindrucksvoll unterstreicht. Was zwischen Nationalestraat und Kammenstraat mit Läden der legendären «Antwerp Six» – etwa mit Dries Van Notens Modepalais an der Nationalestraat 16 – begann, führen nun Abgänger der Königlich-Belgischen Modeakademie – sie zählt zu den besten der Welt – in kleinen Ateliers und Pop-up Stores fort. Unterwäsche als Kunst, Models als Michelin-Männchen, Kleidung als Abenteuer: All das wird nicht zuletzt im riesigen, 25‘000 Exponate beherbergenden Modemuseum MOMU aufbereitet. Wer mag, kann im angrenzenden Viertel Het Zuid noch mehr von Antwerpens kreativer Ader entdecken. Patrizierhäuser, Boulevards mit Platanen finden sich hier – und jede Menge Kunst. Antwerpens südlicher Stadtteil hat sich heute in einen viel beachteten Art District verwandelt. Zwischen dem Museum für zeitgenössische Kunst, dem Foto-Museum und Richard Rogers’ futuristischem Justizpalast verteilen sich Concept Stores und schräge Lokale wie die «Wasbar»: Lust auf Persil-Cocktail und Co.? Der ehemalige Waschsalon an der Graaf von Egmontstraat 5 serviert die cleansten Drinks und feinsten Faserschmeichler-Häppchen der Stadt!
ANTWERPEN KOMPAKT
Anreise
Nächster Airport ist Brüssel. Flüge u.a. mit Brussels Airlines und Swiss.
HOTEL-TIPPS
Botanic Sanctuary Antwerp
botanicantwerp.be
Das Mitglied der Leading Hotels of the World als einladende Oase: Heritage-Architektur plus Orangerie-Feeling.
Hotel August
august-antwerp.com
Das spektakulär in eine ehemalige Augustinerkapelle integrierte Hotel lädt zur Erkundung des umliegenden Het Groen Kwartier ein: ein auf Eco-Lifestyle frisiertes ehemaliges Armeegelände in nächster Nähe zum eleganten Jugendstilviertel Zurenborg.
RESTAURANT-TIPPS
The Jane
thejaneantwerp.com
Piet Boons auf Fisch und Seafood spezialisiertes Restaurant serviert Meeresgemüse und Co. wie sinnliche Gemälde.
Zuiderterras
zuiderterras.be
Nautisch inspiriertes Restaurant am Scheldeufer: Seafood plus Blick auf Lastenkähne.
Grand Cafe Horta
grandcafehorta.be
Das trendige Café serviert zu Bistro-Küche originales Jugendstildesign von Victor Horta.
13. Juli 2022
Toskanische Nächte
Das Rosewood Castiglion del Bosco verbindet Entspannung mit Kultur und traumhaften Aussichten.
Die Toskana zählt mit Sicherheit zu den schönsten Regionen der Welt. Hier treffen sanfte Hügel auf Weingärten, Berge, Meer und malerische Städte wie Siena, Florenz oder Lucca. Um diese wundervolle Gegend zu erkunden, kann man beispielsweise das Val d’Orcia, ein Tal, das zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört, als Ausgangspunkt wählen. Hier befindet sich das Fünf-Sterne-Hotel Rosewood Castiglion del Bosco, das schon allein für sich eine Reise wert ist. Zum Wohnen kann man aus 42 Suiten und elf Villen wählen.
New You
Sich neu erfinden und gesund bleiben – wir stellen Wellnesshotels mit medizinischer Grundlage vor.
Kraft tanken, durchatmen, gesund bleiben: Wir stellen vier luxuriöse Wellnesshotels und Retreats vor, die mit State-of-the-Art-Programmen und Behandlungen das Aufleben leicht machen.
17. Mai 2021
Altes Ägypten, neue Wege
Sandale und Skandale – wo der Architektur-Krimi am Nil heute weitergeschrieben wird.
Die Bandbreite dafür ist so weit wie die altägyptische Geschichte lang. Etwa das vermeintlich abgearbeitete Thema Cheops-Pyramide. Dieser näherte sich der Stuttgarter Architekt Bernhard Kerres nach behördlich verordnetem De-facto-Stillstand der Feldforschung seit den 1970er-Jahren erst kürzlich mit akribischer Konstruktionslogik und lieferte eine Bauwerksanalyse ab, die neben der spannenden Hypothese der Kammerbauweise auf Rasterbasis mit der überraschenden Idee eines Wechselaufzugs an der geometrischen Mitte der Pyramide aufwartet. Dass 90 Prozent des Pyramideninneren unbekannt sind, ist zugleich typisch für den gesamten historischen Raum.
— Februar 2022
Gefahr im Paradies
Mit Sebastião Salgado auf den Spuren indigener Völker im Amazonas-Regenwald.
Food & Dining
Neue Blumenau
Mehrfach prämierte Küche und geschmackvolle Regionalität am Bodensee.
Mobility
Glamour auf Rädern
Wohnmobile und Wohnwägen, die mit edlem Design und höchstem Komfort glänzen.