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Spiegel der Zeit und Trendsetterin der Kunstwelt: Die Biennale von Venedig.

Es war im Jahr 2001, als Papst Johannes Paul II. auf der Biennale von Venedig die ­Gemüter erregte – oder besser gesagt eine ­lebensgrosse, täuschend echt modellierte Skulptur des damals amtierenden Papstes. Johannes Paul II. krümmte sich am Boden, niedergeschmettert von ­einem Meteoriten. In der Decke über ihm gähnte ein Loch, Glasscherben lagen um ihn verstreut. Kein Werk der 49. Internationalen Kunstausausstellung wurde annähernd so oft abgebildet wie das Kunstwerk des Italieners Maurizio Cattelan, kein ande­res erregte die Gemüter auf ähnliche Weise. Ohne dieses hyperrealistische Werk in einer ehemaligen Lagerhalle des Arsenale, des alten Kriegshafens von Venedig, hätte die alle zwei Jahre stattfindende Kunstausstellung wohl kaum 350000 Besucher angezogen. Gute zehn Jahre vorher waren es nicht einmal ein Viertel so viele. 

Provokante Zeichensetzer

Die 1895 gegründete Biennale von Venedig – die älteste und grösste der Welt – war und ist auch immer ein Spiegel des aktuellen Kunstgeschehens, sie ist gleichermassen Bühne wie Durchlauferhitzer, Zeichensetzerin und Trendbarometer. 2001 war die Grossausstellung schon längst zu einem Medienereignis geworden, bei dem ein Künstler wie Maurizio Cattelan geschickt auf der Klaviatur der Aufmerksamkeit spielte. Die Skulptur​«hätte auch einem weltweit tätigen Werbespezialisten einfallen können», schreibt Biennale-Kenner und ‑Kurator Robert Fleck in seiner ­Geschichte der Kunstausstellung.

Die volle Erregung

Auf der Biennale von Venedig ­zeigte sich in den vergangenen ­Jahrzehnten, wie Kunst zum internationalen Erre­­gungs- und Eventgenerator ­geworden ist, keine der weltweit grossen Ausstel­lungen zieht nämlich auch nur annä­hernd ein ähnlich ­internationales Pub­likum an wie sie. Waren es in den 1980er-Jahren fast ausschliesslich Künstler aus Europa und ­Nordamerika, die in den Giardini gezeigt wurden, sind es im neuen Jahrtausend Künstler von allen Erdteilen. Allein zwischen 1990 und 2001 hatten 36 neue Länder – von Armenien bis Singapur – einen ­eigenen ­Nationalpavillon eingerichtet, ja, in nur zehn Jahren hatte sich die Zahl der teilnehmenden Länder verdoppelt. 2001 war schliesslich auch das Jahr, als Schwarzafrika mit einer eigenen Ausstellung erstmals seinen grossen Auftritt in der westlichen Kunstszene hatte. 

Global betrachtet

Die Globalisierung hatte die ­Kunstsze­ne erreicht bzw. nahm sie vorweg. Die lange Geschichte der Biennale als Spiegel und Visitenkarte des euro-amerikanischen Kunstgeschehens mit seiner bestimmenden Formensprache war damit unwiderruflich vorbei. 2001 markiert insofern eine Zäsur, die ein bisschen mit jener von 1948 vergleichbar ist, die allgemein als die folgenreichste der Kunstgeschichte gilt. Nach dem Kahlschlag des Zweiten Weltkriegs wurde die erste Nachkriegs-Biennale zur Informationsquelle für die Künstler der Nachkriegszeit, die von den künstlerischen Entwicklungen in den Jahrzehnten vor ihnen oftmals kaum etwas wussten. 

Höchst impressiv

Die Wiederentdeckung der ­modernen Kunst auf der damaligen Biennale war nichts weniger als ein Befreiungsschlag. Eine grosse Ausstellung zum Impressionismus wurde als Beginn der Entwicklungsgeschichte der ­Moder­ne kanonisiert, der Grosse Preis für Male­rei ging an Georges Braque; Marc Chagall und Pablo Picasso stellten u. a. neben ihm im französischen ­Pavillon aus. Die revolutionäre Neuigkeit der Biennale von 1948 war aber die Sammlung von Peggy Guggenheim, die bis herauf in die 1970er-Jahre die Geschicke der Biennale massgeblich mitbestimmte. Die reiche Amerikanerin hatte eine Sammlung aufgebaut, die lückenlos die Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhunderts nachzeichnete. Unter den Werken der versammelten Künstler (meist waren es Männer) befanden sich auch jene eines jüngeren Malers, der die Kunst der folgenden Jahrzehnte nachhaltig prägen sollte: Jackson Pollock. Der abstrakte Maler sollte massgeblich dazu beitragen, dass der künstlerische Fokus auf Paris bald von jenem auf New York abgelöst wurde. Amtlich wurde dies auf der 32. Kunstbiennale im Jahr 1962, als der Grosse Preis für Malerei an Robert Rauschenberg ging, also an einen Pop-Art-Künstler, der Motive aus der Werbung und der Massenmedien eins zu eins für seine Kunst verwendete. Erstmals seit 1948 ging damit der Grosse Preis nicht nach Paris, sondern nach New York,​«ein Triumph der Jugend, des Neuen und für die aussereuropäischen Kunstzentren», wie Robert Fleck schreibt. 

Kunstvoller Protest

Der Preis an Rauschenberg beendete eine Phase der Stagnation, nachdem die Venedig-Biennale in den Nachkriegsjahrzehnten mit der Gründung ­anderer grosser Kunstausstellungen wie der ­Documenta in Kassel oder der Biennale von São Paulo gehörig Konkurrenz bekommen hatte. Die Turbulenzen sollten damit aber erst so richtig beginnen, 1968 forderten revolutionäre ­Studenten nichts weniger als die Abschaffung der Nationalpavillons und die Aufhebung des noch aus der Zeit Mussolinis stammenden Status der Biennale. 1974 ­widmete man schliesslich die gesamte Bien­nale Chile – als Protest gegen dessen Diktator Augusto Pinochet.

Leicht überpolitisiert

Künstlerischer Ausdruck und politischer Protest waren und sind auf der Biennale oft untrennbar verbunden. Für kaum eine Zeit gilt das so sehr wie für die 1970er-Jahre. In die damalige Phase der Überpolitisierung schlug die Biennale von 1980 ein wie eine Rakete. Im ehemaligen Salzlager in Zattere zeigten junge Künstler Stilcollagen, wie man sie bisher nicht gesehen hatte. Bunte Farben, erzählerische Inhalte und expres­sionistische Gesten brachen mit der selbst auferlegten Strenge der damaligen Avantgarde. Der Star der neuen Wilden: der New Yorker Julian Schnabel.

Die Post(moderne) geht ab!

Mit dem Aufkommen dieser bald​«Postmoderne» genannten Bewegung ging eine neue künstlerische Offenheit einher, die nicht nur den Kunstmarkt beflügelte, sondern die auch die Künstlerinnen und Künstler auf der Biennale mit immer spektakuläreren Kunstwerken oder Pavillons für sich zu nutzen wussten. In den 1990er-Jahren bezogen erstmals immer mehr Kunstschaffende die Pavillons in ihre künstlerische Arbeit ein, etwa Hans Haacke, der 1993 die Marmorplatten am Boden des deutschen Pavillons aufbrach und damit ein politisches Zeichen setzte, oder Gregor Schneider, der am selben Ort 2001 ein schier endloses, verwinkeltes ­Labyrinth aufbaute. Es war dasselbe Jahr, als Maurizio Cattelan seinen Papst zu Boden stürzen liess und damit für einen Schlüsselmoment in der Geschichte der Biennale sorgte. Von diesen gibt es viele in der Geschichte der Biennale. In der Ausgabe von 2024 werden wohl noch einige weitere hinzukommen. 

labiennale​.org

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