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Ein Leben mit Picasso, Klee und Corona: Angela Rosengart, die Grande Dame der Schweizer Kunstszene, im Portrait.

Corona-Zeiten hin oder her, das geht gar nicht. Dass die Menschen auf einmal nicht mehr ins Museum können. Wie alle Schweizer Museen war auch die «Sammlung Rosengart» in Luzern geschlossen. Die ehemalige Besitzerin der Sammlung und Gründerin des Museums, Angela Rosengart, konterte dem Virus mit der Aktion «Kunst kommt zu Ihnen nach Hause». Als Film, abrufbar im Internet. In liebevoll gestalteten Bei­trägen erzählen die Mitarbeiter des Mu­seums, vom Abwart bis zur Kassenfrau, die Geschichte ihres ganz persönlichen Lieblingsbildes. So konnten sich die zwangsweisen Nicht-Museumsbesucher beispielsweise an Abwart Othmar Amreins witzig-pointierter Beschreibung von Pablo Picassos «Kauernder Akt» erfreuen. Eine berührend schöne Aktion und sehr passend zur Gründerin des Museums. 

Angela Rosengart ist eine zierliche Person mit einer sanften Stimme, aber in der Kunstszene ist sie ein echtes Schwergewicht, und ihr Wort verfügt in Kunstfragen über einen unüberhörbaren Nachdruck. Angela Rosengart besass eine der weltweit renommiertesten Sammlungen von weit über 300 Werken der modernen Kunst und ist Zeitzeugin einer der wichtigsten Epochen der Kunst des vergangenen Jahrhunderts. Die Luzerner Kunsthändlerin, ‑sammlerin und Museumsstifterin lernte bereits in jungen Jahren die künstlerischen Genies Marc Chagall, Henri Matisse und Pablo Picasso kennen. Von letzterem wurde sie im Laufe der Zeit fünf Mal porträtiert. 

Im Namen der Kunst

Die Tochter des Galeristen Siegfried Rosengart (1894 – 1985), dessen Beitrag zur Verbreitung von impressionistischer und klassisch-moderner Kunst in der Schweiz von der Fachwelt als enorm eingeschätzt wird, ist 88 Jahre alt und die Grande Dame der Schweizer Kunstszene. Aber sie wirkt so jung und voller Tatendrang, dass man aus dem Staunen kaum herauskommt. Sei es wegen ihrer Lebensgeschichte, sei es wegen ihrer jugendlich anmutenden Art oder sei es wegen ihrer – sogar in Corona-Zeiten – auferlegten Routinen.

Wir erreichen sie während des weltweiten Lockdowns bei ihr zu Hause. Das von ihr gestiftete Museum «Sammlung Rosengart» ist geschlossen. Aber sie ist trotzdem eifrig im Einsatz. «Ich arbeite wie meine Bürodamen von zu Hause aus. Neben dem Museum habe ich auch noch viel Arbeit mit meiner Galerie. Alle paar Tage gehe ich ins Büro des Museums und schaue nach, was es zu tun gibt», gibt sie Einblick in ihr Lockdown-Leben. 

Ihr Vater Siegfried Rosengart, der berühmte Kunstsammler und Künstlerfreund, eröff­nete in den 1920er-Jahren die Galerie in Luzern, in der er wohlhabenden Sommerfrischlern in Luzern Meister der klassischen Moderne verkaufte. Ab 1948 arbeitete Angela Rosengart bei ihrem Vater in der Galerie. An ihrem Vater bewunderte sie «seinen Enthusiasmus, seine Liebe zur Kunst und sein untrügliches Gespür für Qualität. Er hat Bilder gezeigt bekommen und hat sofort gewusst, das hat Bestand. Das haben auch seine Künstlerfreunde an ihm geschätzt.» Ausserdem war er für sie «ein sehr guter Kunsterzieher. Als ich in der Galerie angefangen habe und ein Bild der Galerie angeboten wurde, dann hat er nicht zu mir gesagt: Schau, das ist schön. Das kaufen wir. Sondern er hat zuerst mich gefragt: Was meinst du? Dann musste ich mir überlegen, ­warum mir ein Bild gefällt oder nicht. Wenn er anderer Meinung war, hat er mir erklärt, warum er das anders sieht.»

Kunstvoll leben

Doch was bedeutet Kunst für Angela Rosengart? Schlichtweg alles. Und das seit ihrem 17. Lebensjahr. Damals begann sie als Lehrmädchen in der väterlichen Galerie zu arbeiten. «Da habe ich gesehen, wie viel einem Kunst geben kann.» Ihrer Meinung nach sollte man nie gleichgültig an einem Kunstwerk vorbeigehen, sondern sich immer damit auseinandersetzen, denn es kann «Freude auslösen, nachdenklich stimmen oder andere Emotionen hervorrufen». Ihr erstes selbst erworbenes Bild war eine Zeichnung von Paul Klee, «X‑chen», ein lustiges Kind, das sie 1948 von ihrem monatlichen Lehrlingslohn von 50 Franken kaufte! Heute hängt es im Klee-Raum des Museums. 

Angesprochen auf ihre Lieblingsbilder im Museum, meint sie nur verschmitzt: «Wir haben 125 Klees, und ich habe 125 Lieblings-Klees. Wir haben ungefähr 130 Picassos, und ich habe 130 Lieblings-Picassos. Es ist wirklich jedes einzelne Bild für mich sehr wichtig.» Die frühere Kuratorin habe es einmal auf den Punkt gebracht: Die Bilder sind mit dem Herzen erwählt. «Und das ist wirklich so.» Die Künstler, die sie immer gern haben wollte, sind vertreten. «Im Grun­de genommen bin ich gar keine Kunsthändlerin», beteuert die stolze Eigentümerin ­einer Gemäldekollektion von Weltformat. «Ich kann mich halt oftmals nicht mehr von einem Bild trennen.» Und so ist die enorme Sammlung entstanden, die zuerst in ihrem Privathaus in Luzern hing und seit der Eröff­nung 2002 adäquaten Raum und Rahmen im ehemaligen Regionalsitz der Schweizer Nationalbank, einem weiss getünchten, neoklassizistischen Gebäude in der Pilatusstrasse unweit des Luzerner Bahnhofs und mitten im Zentrum, gefunden hat. Dass Hunderte unbezahlbare Meisterwerke von Picasso, Klee und Co. jahrelang in einem ­unscheinbaren Privathaus in Luzern hingen, hat auch viel mit der Persönlichkeitsstruktur von Angela Rosengart zu tun – sie war und ist die Diskretion in Person. 

Der Impetus für die Gründung des Museums war dann auch ein sozialer – mit so vielen Menschen wie möglich ihre Freude an der Kunst zu teilen. Fehlt ihr eigentlich etwas in der Sammlung? «Also gut. Ich hätte nichts gegen einen Van Gogh in der Sammlung», meint sie schelmisch. Jetzt kauft sie nur noch höchst selten ein Kunstwerk, «denn mir sind die Preise ­davongerannt», und sie hat ja sogar das Gebäude, in dem ihre Kunstsammlung nun untergebracht ist, von ihrem eigenen Geld gekauft und vom Basler Architekten Roger Diener kongenial umbauen lassen. Und das war nicht ganz billig. Aber es 
war ihr einfach wichtig, die Sammlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. «Ich habe die Bilder ja lange für mich allein gehabt. Heute bin ich glücklich, dass viele diese sehen können», erklärt sie. 

Gemalte Erinnerungen

«Der Kauf der Bilder war immer eine Liebesgeschichte», erklärt Angela Rosengart ihre Beziehung zur Kunst. Damit einhergehen natürliche Erinnerungen. Und davon gibt es unzählige. Etwa die erste Begegnung mit dem Ausnahmegenie Picasso: Das war 1954. Da sei sie ihm zufällig in dem charmanten Töpferdörfchen Vallauris an der Côte d’Azur über den Weg gelaufen. «Mein Vater hat sich mit ihm unterhalten. Plötzlich schaut mich Picasso an und meint: Kommen Sie morgen. Ich möchte gern ein Porträt von Ihnen anfertigen. Das war ein wirkliches Highlight», erzählt sie lachend. Mit gerade mal 22 Jahren war sie bereits Modell für den weltberühmten spanischen Maler, Grafiker und Bildhauer. «Ich war damals sehr aufgeregt», gibt sie unumwunden zu, «ich sass auf einem Sofa und Picasso mir gegenüber. Ich konnte es gar nicht fassen und habe mir gedacht: Mein Gott, das passiert mir. Da macht jetzt der berühmteste Maler des 20. Jahrhunderts ein Porträt von dir. Er ­hatte einen richtigen Röntgenblick. Diese Augen waren wie glühende Kohlen», erzählt sie mit einer Begeisterung, die einfach mitreisst. 

Der Sitzung entsprang eine feine Bleistiftzeichnung, die in einem Raum in der ersten Etage der Sammlung Rosengart hängt. Im Lauf der Zeit sind sogar fünf Porträts entstanden, allesamt mit der Widmung Picassos «pour Angela» versehen. «Jedes Mal habe ich mich von den Blicken ausgebrannt gefühlt», so Rosengart. Aufregend war es auch immer, «wenn wir bei Picasso waren und er aus einer Laune heraus gemeint hat: Kommt, ich zeig euch, was ich Neues gemacht habe, und wir dann auch noch etwas für unsere Galerie aussuchen durften.» Das waren Highlights, an die sie sich gern erinnert. Oder ihre Treffen mit einem anderen Grossmeister des 20. Jahrhunderts, dem französischen Maler Marc Chagall, mit dem sie und ihr Vater ebenfalls sehr eng befreundet waren. «Wir sind sogar einmal mit ihm gemeinsam nach Rom gereist und haben dort zusammen antike Stätten besucht.» Immer wieder sehr beeindruckt habe sie, «wie Chagall sich alles so intensiv und genau angeschaut hat und auf sich hat wirken lassen». Oder die Besuche in seinem Atelier, wo auf dem Plattenspieler Mozart lief, während er gemalt hat. «Wir haben auch einige Chagall-Ausstellungen in der Galerie gezeigt. Wenn wir dafür ­auswählen durften, war das immer sehr schön», schwelgt sie in Erinnerungen.

«Wir haben 125 Klees, und ich habe 125 Lieblings-Klees. Wir haben ungefähr 130 Picassos, und ich habe 130 Lieblings-Picassos. Es ist wirklich jedes einzelne Bild für mich sehr wichtig.» Angela Rosengart

Und dann nicht zu vergessen ein anderer bedeutender Meister der klassischen Moderne: Henri Matisse. Auch mit dem französischen Maler, Grafiker, Zeichner und Bildhauer war der Vater befreundet und hat die Tochter bei ihm eingeführt. «Da arbeitete er gerade an einer dieser grossen ‹Gouaches Découpées›, den späten Werken des Künstlers», erinnert sich Angela Rosengart. Sie durften ihm dabei zuschauen, wie die farbenfrohen Werke entstanden, bei denen er sozusagen mit der Schere gezeichnet hat.

Und was hält sie von der Idee, Bilder als ­Anlageobjekte zu erwerben? «Das finde ich das Traurigste, was es gibt.» Bilder sind ihrer Meinung nach nicht dafür gemacht. Es fällt ihr auch eine interessante Geschichte dazu ein. «Es kam mal ein Kunde zu uns, und wir haben ihm unsere Kunstwerke in der Galerie gezeigt. Dann hat er meinen Vater bei einem Bild gefragt, ob es wert sei, es zu kaufen. Mein Vater hat geantwortet: Wenn Sie so fragen, dann kaufen Sie besser Gold oder Aktien, aber keine Bilder.» Kunst muss eben das Herz berühren.

Sammlung Rosengart

1992 gab Angela Rosengart den Startschuss zur Gründung einer gemeinnützigen Stiftung mit dem Ziel, ihre und ihres Vaters Sammlung in ihrer Gesamtheit zu erhalten und der Öffentlichkeit in einem Museum zu präsentieren. Das ideale Museumsobjekt fand sie im ehemaligen Regionalsitz der Schweizer Nationalbank in Luzern. Seit der Eröffnung im März 2002 zählt die Sammlung Rosengart zu den wichtigsten Häusern moderner Kunst in der Schweiz. Den Kern der Sammlung bilden Gemälde und Zeichnungen von Picasso aus den Jahren 1904 bis 1972. Mit 125 ausgesuchten Klee-Werken gehört dazu ausserdem eine der international bedeutendsten privaten Klee-Kollektionen. Mit im hochrangigen Kunstteam sind weitere Big Player des Impressionismus und der klassischen Moderne, darunter drei Bilder von Cézanne sowie Gemälde von Monet, Pissarro, Renoir, Seurat, den Nabis-Künstlern Bonnard und Vuillard und Werke von Modigliani, Soutine, Matisse, Braque, Léger, Kandinsky und Miró. Mit einer kleinen Werkgruppe vertreten ist auch Chagall, dem sich Vater und Tochter ebenfalls persönlich verbunden fühlten. 

rosengart​.ch

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