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Bei dieser Geschichte werden wir alle gescheiter: Innovationsforscher Dr. Lukas Zenk über das Kollektiv als Wissensturbo, Legosteine als Problemlöser und Improvisation als Erfolgsgarantie.

Der Mensch ist bekanntlich ein soziales Wesen. Von Geburt an brauchen wir den Kontakt zu anderen Menschen und schätzen diesen – auch über die frühkindliche Phase hinaus. Je nach Stimmungslage und Art der Gesellschaft mal mehr, mal weniger. Gerade in Zeiten komplexer Aufgaben und gesellschaftlicher Herausforderungen ist das Kollektiv jedoch besonders gefragt, wie auch die Wissenschaft aktuell beweist: Mit der Erkenntnis, dass Menschen einsam oft weniger intelligent sind als gemeinsam, liefert sie einen unschlagbaren Anreiz, sich mit Menschen auszutauschen. «Collective Mind» nennt sich das Phänomen, nach dem die Problemlösungskompetenz von Gruppen nicht vom IQ der einzelnen Mitglieder abhängt, sondern davon, wie gut sie miteinander agieren. Diesem Thema widmet sich aktuell Dr. Lukas Zenk mit einem dreijährigen Forschungsprojekt am Department für Wissens­ und Kommunikationsmanagement an der Donau­Universität Krems. Hunderte Teilnehmer absolvieren dafür Experimente, die zeigen sollen, wie die kollektive Wissensvermehrung funktioniert. Eine bedeutende Errungenschaft, die für Unternehmen ebenso wie für Familien oder Gruppen jeder Art von enormer Bedeutung ist. Ist für den IQ gemeinsam immer besser als einsam? Welche Rolle spielen dabei Legosteine und Improvisation? Das Moments Magazin traf den Professor für Innovations­ und Netzwerkforschung in den kreativen Räumlichkeiten der Vollpension im MUK in Wien, um diese und weitere spannende Fragen zu klären.

Dr. Zenk, Ihr aktuelles Projekt «Collective Mind» widmet sich der Frage: Wie werden wir gemeinsam intelligenter? Wie lautet die Antwort?
Dazu muss man vorab klären, was Intelligenz ist. Allgemein wird darin die Fähigkeit gesehen, bestimmte Aufgaben zu bewältigen. Das ist nur ein Faktor von vielen und kann einen Menschen nicht vollkommen beschreiben, aber es ist ein interessanter Indikator. Und daher war die Idee, auch auf die Teamebene zu schauen, weil die meisten Probleme heute im Team gelöst werden. Naheliegend war, dass eine Gruppe aus intelligenten Personen auch das beste Ergebnis erzielt – als ob man in einer Fussballmannschaft nur Ronaldos hätte. Die Fragestellung im übertragenen Sinn war also: Ist das Team mit den besten Spielern auch die beste Mannschaft? Dem ist nicht so. Am MIT Center for Collective Intelligence in Massachusetts hat man dazu grosse Studien durchgeführt, Hunderte Gruppen beobachtet und kam zum Ergebnis, dass der IQ der einzelnen Personen keinen Einfluss auf die Intelligenz der Gruppe hat. Kollektive Intelligenz bedeutet: Wie schafft es eine Gruppe, bestimmte Aufgabenstellungen gemeinsam zu lösen? Und hier sind zwei Faktoren wesentlich: Es geht um den Prozess innerhalb der Gruppe und um die Wahrnehmung der anderen. Konkret spielen dabei die gleichmässige Verteilung der Redezeit und die Fähigkeit, Emotionen aus dem Gesicht anderer abzulesen, eine grosse Rolle. Dabei haben prinzipiell weiblich dominierte Gruppen besser abgeschnitten, weil Frauen das Lesen von Emotionen tendenziell leichter fällt.

Wie erforschen Sie das Wissen in der Gruppe?
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten. Das MIT hat ganz viel mit Fragebögen, Rätsellösen und Performance-­Indikatoren gearbeitet. Wir haben bemerkt, dass es spannend ist, nicht nur auf das Ergebnis, sondern auch auf den Prozess zu schauen. Wie arbeiten die Personen miteinander? Wobei man hier zwischen Team und Gruppe unterscheidet: Ein Team arbeitet langfristig miteinander, eine Gruppe widmet sich einer aktuellen Aufgabe. Konkret haben wir beispielsweise mit rund 80 Entscheidungsträgern der Stadt Wien geforscht. Aufgabe der Gruppen war es, das komplexe Thema «Neue digitale Strategien» zu bearbeiten. Dafür verwendeten sie rund 20 Kilogramm Legosteine sowie Moderationskarten und haben mit Moderatoren, die ganz klare Anleitungen hatten, die Prozesse in den unterschiedlich besetzten Kleingruppen begleitet und erforscht. Konkret beantworteten die Gruppen die gestellten Fragen mithilfe von Moderationskarten oder Legobausteinen. Dabei wurde deutlich gezeigt, dass alleine die Werkzeuge, mit denen Gruppen arbeiten, einen Unterschied machen.

Welche konkrete Funktion übernehmen Legosteine bei dieser Methode?
Legosteine sind einfach ein anderes Medium, was neue Ideen erleichtert. Der Methode Lego Serious Play folgend, arbeitet man mit den Händen, man baut etwas auf, man nimmt sich die Zeit, für sich selbst etwas zu schaffen, präsentiert seine Gedanken der Gruppe, um dann später gemeinsam etwas Neues zu bauen. Man kommt schneller dazu, aktiv zu sein und auch zu einer Lösung, während man beim «nur Reden» oft auf ein Thema fixiert bleibt. Das ist auch das Prinzip der von uns entwickelten Methode Designing Events, mit der wir sogar den Innovation Award 2017 gewonnen haben. Das ist ein Karten­Set, das Inspiration und Antworten zur innovativen Entwicklung eines Events bietet.

Wie wichtig ist das Gruppenklima für die Qualität des Ergebnisses?
Sehr wichtig! Am allerwichtigsten in einer Gruppe ist die psychologische Sicherheit, sprich das Vertrauen, dass man seine Meinung frei äussern kann – ohne Angst vor Fehlern oder negativen Konsequenzen. Das hat auch Google erkannt, wo man prinzipiell nur die besten Leute haben wollte. Vor einigen Jahren wurde das Projekt «Aristoteles» gestartet – der Name ist dabei Programm. Ganz nach der Grundthese des griechischen Philosophen ist das Ganze mehr als die Summe der einzelnen Teile. Demnach hat sich Google gefragt, was ein gutes Team ausmacht. Und kam zu dem Ergebnis, dass für gute Teamarbeit die Möglichkeit, Fehler zu benennen und frei die Meinung zu sagen, am allerwichtigsten ist – neben weiteren wichtigen Faktoren wie Zuverlässigkeit, Struktur und Übersichtlichkeit, Sinnhaftigkeit und Einfluss der eigenen Arbeit auf das Projekt. Diese Faktoren kann man auf alle Bereiche anwenden, bei denen im Team gearbeitet wird – vom Konzern bis zum Krankenhaus. Die ideale Besetzung eines Teams hängt natürlich auch immer von der Aufgabenstellung ab: Während bei innovativen Projekten Diversität in der Gruppe besonders gefragt ist, empfiehlt sich bei langfristigen Routineabläufen eher ein Team mit gleichem Mindset. Ein gemeinsames Problemverständnis ist dabei aber immer wichtig.

Ist gemeinsam immer besser als einsam, wenn es um die Gruppenintelligenz geht?
Manchmal ist eine Gruppe auch weniger intelligent als die einzelnen Mitglieder, etwa wenn soziale Dynamiken hinderlich sind oder wenn es um einfache, klare Aufgaben geht, beispielsweise darum, einen Namen für ein neues Produkt zu finden. Sobald es jedoch um komplexere Themen geht, also unterschiedliche Perspektiven gefragt sind, ist eine Gruppe stets im Vorteil gegenüber einer Einzelperson. Vor allem wenn Innovation das Thema ist, da geht es prinzipiell um die Rekombination von Vorhandenem.

Wie wichtig ist die Fähigkeit, gemeinsam zu agieren, gerade in einer immer komplexer werdenden Welt?
Auch wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der das Individuum immer noch eine grosse Rolle spielt – es werden individuelle Noten vergeben, man erhält ein individuelles Gehalt etc. –, ist Zusammenarbeit ein ganz wesentlicher Faktor. Die Aufgaben werden im Kleinen wie im Grossen immer komplexer, und um diese zu verstehen und auch zu lösen, braucht es das Kollektiv. Schön lässt sich das in der Geschichte von blinden Personen zeigen, die einen Elefanten beschreiben wollen: Der eine fühlt nur das Ohr und meint, ein Elefant ist ähnlich einem Fächer. Der andere tastet nur das Bein und meint, ein Elefant sei wie eine dicke Säule etc. Das zeigt deutlich: Um das grosse Ganze zu verstehen, braucht es unterschiedliches Wissen, das integriert wird. Inter­ und Transdisziplinarität sind die Schlüsselworte, die ich selbst zu leben versuche. In meiner Arbeit verbinde ich Wissen aus dem Bereich Kunst, Forschung und Wirtschaft.

Sie selbst sind künstlerisch aktiv und stehen mit Ihrer Improvisationstheatergruppe Quintessenz regelmässig auf der Bühne. Was reizt Sie daran?
Bereits als Kind habe ich mich geweigert, Klavier nach Noten zu spielen, ich wollte immer nur frei spielen – sprich improvisieren. Das Gleiche gilt fürs Schauspielern – ich konnte mir nie Texte merken und spiele daher seit zwölf Jahren Improvisationstheater. Da geht es darum, spontan auf Begriffe aus dem Publikum zu reagieren und gemeinsam auf der Bühne Szenen und Theaterstücke zu spielen. Flexibilität, Perspektivenwechsel, das Eingehen auf das Gegenüber und vor allem das «Im-Hier­und­Jetzt­Sein» sind dabei wesentlich. Alles Dinge, die nicht nur auf der Bühne, sondern in vielen Bereichen des Lebens wichtig sind. Früher dominierte das Weltbild des Homo oeconomicus, der alles rational entscheiden und planen konnte. Heute geht es darum, Situationen adäquat zu verstehen und im Moment zu handeln. Daher kam mir der Gedanke, das Thema Improvisation wissenschaftlich zu erforschen. Ob Feuerwehrmann, Businessfrau oder Start-up­Unternehmer: Die Fähigkeit zu improvisieren ist essenziell. Und lernbar.

Wie kann Improvisation erlernt werden?
In unserem neuen Projekt «Organisationale Improvisation» an der Donau Universität Krems erforschen wir im Rahmen fünftägiger Workshops die Fähigkeit, Ressourcen im Jetzt zu nutzen und auf das Unvorhersehbare zu reagieren. Vom Brexit bis hin zu Buschbränden, unvorhersehbare Situationen sind mittlerweile Alltag, und es geht darum, mit diesen bestmöglich umzugehen. Wie das gelingt, zeigen bereits die ersten Ergebnisse: Zur Improvisation braucht es spezialisiertes Wissen und Erfahrung! Und das kann trainiert werden. Angewandte Improvisation verwendet Methoden und Mindsets aus dem Improvisationstheater, um Menschen abseits der Bühne diese Fähigkeiten zu vermitteln.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kreativer Querdenker

Dr. Lukas Zenk absolvierte ein Studium aus Wirtschaftsinformatik, Soziologie und Psychologie und promovierte im Bereich der Sozialen Netzwerkanalyse an der Universität Wien. Der 39-jährige Wiener ist Assistenzprofessor für Innovations- und Netzwerkforschung am Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement der Donau-Universität Krems.

In seinem aktuellen Forschungsprojekt Collective Mind erforscht er, wie Stakeholder-Gruppen komplexe Probleme besser lösen können. Konkret untersucht ein Team aus Forschern gemeinsam mit Experten der Projektpartner ICG Integrated Consulting Group sowie der Beratergruppe Neuwaldegg den Einfluss zweier Faktoren auf die Problemlösungskompetenz von Gruppen: die Perspektivenübernahme und das Vorhandensein eines gemeinsamen Problemverständnisses auf Basis mentaler Modelle. Auch das Feld «Organisationale Improvisation» steht auf Lukas Zenks Forschungsagenda. Dazu leitet er gerade in Zusammenarbeit mit der Universität Wien und Strategy Sprints ein dreijähriges Forschungsprojekt an der Donau-Universität Krems. Dort findet im Oktober auch die erste transdisziplinäre Konferenz zum Thema «Science and Society Collaboration» statt. 

Er selbst steht mit der von ihm mitgegründeten Improvisationstheatergruppe «Quintessenz» regelmässig auf der Bühne – für ihn die perfekte Verbindung von Wissenschaft und Kunst.

lukaszenk​.at

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Monika Sosnowska 04

Formgebung der Moderne

Das Zentrum Paul Klee in Bern widmet Monika Sosnowska vom 3. Juni bis 10. September 2023 eine Einzelausstellung.

Seit den frühen 2000er-Jahren hat die polnische Bildhauerin und Künstlerin Monika Sosnowska ein einzigartiges Repertoire an skulpturalen Werken entwickelt. Ihre oft raumfüllenden Skulpturen und architektonischen Installationen, geschaffen aus Stahl, Beton und anderen Baumaterialien, setzen sich aus osteuropäischer Perspektive mit der gebauten Umwelt auseinander. Sosnowska transformiert und verformt Strukturen auf beeindruckende und nachdenkliche Weise. Ihr Interesse an Architektur, Konstruktion und Design ist eng mit Warschau, der Hauptstadt Polens, verbunden, in der sie lebt und arbeitet. Die fast vollständige Zerstörung der Stadt während des Zweiten Weltkriegs und der anschliessende Wiederaufbau als sozialistische Planstadt sowie die Transformationen Polens nach 1989 prägen das heutige städtische Bild von Warschau.

Mit 18 Skulpturen zeigt die umfangreiche Ausstellung im Zentrum Paul Klee eine repräsentative Auswahl des bildhauerischen Werks Monika Sosnowskas. Ein Fokus soll vor allem auch auf dem Arbeitsprozess der Künstlerin liegen. Erstmals werden 50 Modelle von realisierten und nicht realisierten Arbeiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die einen faszinierenden Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess von Sosnowska bieten. Besonders spannend ist dabei, dass die Künstlerin selbst die Ausstellungsarchitektur entworfen hat und sogar ein ortsspezifisches Werk kreierte. 

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14. Mai 2021 Waldbuehne 01

Freiluftkonzert in Berlin

Die Berliner Philharmoniker spielen im Juni gross auf.

Zum traditionellen Saisonabschlusskonzert auf der Waldbühne laden die Berliner Philharmoniker am 26. Juni 2021 ein. Unter der musikalischen Leitung von Wayne Marshall spielen sie Leonard Bernsteins «On the Town: 3 Dance Episodes» und die symphonische Suite «On the Waterfront» sowie George Gershwins «Rhapsody in Blue». Mit John Williams‘ «Percussive Planet» erforscht das Orchester ausserdem die mannigfaltigen Möglichkeiten des Rhythmus. Dabei ist Stargast Martin Grubinger am Schlagzeug mit von der Partie, ein Multipercussionist par excellence, der stets mit Präsenz, Einsatz des ganzen Körpers und grosser Ausdauer beeindruckt. Das Konzert wird live übertragen, via Digital Concerthall der Berliner Philharmoniker kann jeder ab 20.15 Uhr dabei sein.

Berlin (DE) – Waldbühne
26. Juni 2021
digitalconcerthall​.com

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