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Fotograf Marcello Geppetti hatte ein Gespür für Menschen und Momente – ein Gespräch mit seinem Sohn Marco.

Sophia Loren, Brigitte Bardot, Federico Fellini, Audrey Hepburn, Anita Ekberg. Er hatte sie alle vor seiner Linse. Marcello Geppetti war ein Meister seines Fachs mit einem unglaublichen Gespür für Menschen und Momente. Der italienische Starfotograf schuf in den 1950er und 1960er Jahren mit seinen Bildern Mythen, die noch heute ihresgleichen suchen. Anlässlich der Art Basel 2022 präsentierten bubbly und BYRB nebst den bekannten Werken des Römers die Weltpremiere des Videos des legendären Hollywood Kusses zwischen Richard Burton und Liz Taylor in Ischia. 

Marco Geppetti, erinnern Sie sich, wann Ihr Vater Sie das erste Mal auf seiner Vespa mitgenommen hat, um die internationalen Stars zu fotografieren? 

Seine Erkundungstouren mit der Vespa waren vor meiner Zeit. In seinem ersten Fiat 600 hingegen war ich mehrere Male mit ihm unterwegs. Mein Vater hat mich gerne an seinen Aktivitäten teilhaben lassen und mich des Öfteren auch ins Büro mitgenommen. 

Marcello Geppetti war ein international bekannter Fotograf. Wie entstand die Leidenschaft für die Fotografie?

Mein Vater entdeckte die Fotografie eher zufällig, als er für eine Zeitung als Bote tätig war. Eine seiner Aufgaben bestand darin, dem Direktor jeweils die fertig gelayouteten Artikel zu bringen. Dabei ist ihm aufgefallen, dass diejenigen mit Fotos viel spannender waren als die anderen. So gelangte er zum Schluss, dass die Fotografie ein wichtiges Vehikel sein könnte. Als eines Tages ein Fotograf krankheitsbedingt ausfiel, sprang er spontan ein. Zur Debatte standen Fotos von Politikern im Parlament oder Schnappschüsse von Diven in der berühmten «Via Veneto» von Rom. Mein Vater ergriff die Gelegenheit beim Schopf und entschied sich für das Spannendere, also die Diven. Schon kurze Zeit später gerieten er und die Fotografie unerwartet ins Kreuzfeuer der Kritik. Eigentlich hoffte er an jenem 21. Juni 1959 Soraya, die Ex-Frau des Schahs von Persien, ablichten zu können. Nachdem er ihr Auto vor dem Haus des Prinzen Raimondo Orsini entdeckt hatte, wartete er geduldig in einer Seitenstrasse, als er gegen 4 Uhr morgens plötzlich furchterregende Schreie hörte. Er alarmierte sofort den Rettungsdienst und rannte zum Ort des Geschehens. Im 5. Stock des nahe gelegenen Hotel Ambasciatori war ein Brand ausgebrochen. Nachdem es der Feuerwehr trotz intensivem Einsatz nicht gelang, den Weg freizumachen, sprang eine Frau aus Panik aus dem Fenster. Instinktiv schoss mein Vater ein Foto dieser herunterfallenden Frau. Nach dessen Veröffentlichung wurde er dafür angegriffen und Italien sah sich zum ersten Mal der Diskussion zwischen Ethik und Foto ausgesetzt. Mein Vater nahm eine dezidierte Haltung ein, indem er betonte, dass der Fotograf analog des Journalisten Tatsachen aufzeigt. Der eine in Worten, der andere in Bildern.

Verfügte er zuhause über eine Dunkelkammer, um die Filme zu entwickeln?

Zu Beginn hatten die Fotografen der «Via Veneto» einen kleinen Wohnwagen, in dem sie die Filme entwickelten. Mein Vater war einer der ersten, der sich eine Dunkelkammer zuhause einrichtete, um möglichst schnell arbeiten zu können.

Marcello Geppettis Bilder sind ästhetisch und gleichzeitig unglaublich aussagekräftig. Vielleicht auch, weil sie im Nachhinein nicht bearbeitet werden konnten, wie dies heute der Fall ist? 

Aus technologischem Gesichtspunkt war die Fotografie damals eine ganz andere. Dabei spielte der Faktor Zeit eine zentrale Rolle. Hatte der Fotograf etwas Bestimmtes im Fokus, blieb ihm meistens nur eine Sekunde für den richtigen Klick. Mein Vater war in dieser Hinsicht ein Meister seines Fachs, weil er ein untrügliches Gespür für den besten Moment hatte. Mit dem Einfangen solcher Überraschungsmomente gelangen ihm phänomenale Bilder, die zu seinem Markenzeichen wurden. 

Die heutigen Paparazzi sind meistens auf der Jagd nach möglichst skandalösen Bildern. Die Fotos Ihres Vaters hingegen sind wahre Geschichtenerzähler.

Während der Dolce-Vita-Periode («Das süsse Leben») entstand in Rom eine neue Art der Fotografie, die sogenannte Mythologie des Ruhms. Zuvor wurden fast ausschliesslich Standfotos gemacht, wie beispielsweise ein Schriftsteller, der vor seiner Schreibmaschine sitzt. Marcello Geppetti wollte mit seinen Bildern den menschlichen Aspekt eines Stars hervorbringen, indem er eine neue Spontanität und das Unerwartete kreierte. So avancierten Hollywood Stars, Aristokraten, Intellektuelle und Bohemiens zu Mythen. Viele Legenden hatten in jenen «Römer-Jahren» ihre berühmteste Phase, wie beispielsweise Liz Taylor während den Dreharbeiten von Cleopatra. Dazu beigetragen hat natürlich auch der geschichtsträchtige Kuss mit Richard Burton auf Ischia, der weltweit für Furore sorgte, weil beide zu jenem Zeitpunkt noch mit anderen Partnern liiert waren.

Mein Vater nahm eine dezidierte Haltung ein, indem er betonte, dass der Fotograf analog des Journalisten Tatsachen aufzeigt. Der eine in Worten, der andere in Bildern.

Der Anwalt von Richard Burton versuchte — vergeblich — die Veröffentlichung dieses weltberühmten Fotos zu verhindern. Schritten auch bei anderen Stars die Anwälte ein?

Nur einmal. 1967 fotografierte mein Vater Gunter Sachs und Brigitte Bardot in ihrer Villa. Unter den zahlreichen Fotos war auch eines, das den Unternehmer vollkommen nackt zeigte. Heute wäre dies natürlich kein Skandal mehr. Als Sachs davon erfuhr, bat er meinen Vater, diese Fotos nicht zu veröffentlichen und ins Ausland zu verkaufen, da sie seinen Ruf schädigen könnten. Mein Vater willigte ein, obwohl er damit viel Geld hätte verdienen können. Die Bilder befinden sich heute noch in unserem Archiv, sie wurden jedoch nie publiziert. 

Bestand eine gewisse Solidarität zwischen den Paparazzi?

Die Paparazzi von damals sind nicht mit den heutigen vergleichbar, auch weil der Beruf des Fotografen sich verändert hat. In den wichtigsten Strassen Roms (via Veneto, via Condotti, Piazza di Spagna) war eine bestimmte Basis der mythischen Paparazzi stets präsent, wie im Film «Dolce Vita» von Federico Fellini beschrieben. Diese kleine Gruppe war äusserst homogen, solidarisch und pflegte über all die Jahre hinweg eine Art Brüderschaft. 

Zu jener Zeit waren die Mobiltelefone für die Verständigung noch kein Thema. Wie wussten die Paparazzi, an welchen Orten die Diven und Stars sich jeweils gerade aufhielten? 

Taxifahrer waren eine gute Informationsquelle, aber auch Hotelpersonal oder Freunde. Auf ihre eigene Art waren die Paparazzi sehr gut vernetzt.

Als Fotoreporter war Marcello Geppetti vermutlich immer auf Draht. Wie war er als Vater und Privatperson? 

Er war ein aussergewöhnlicher Mensch mit einer ebenso aussergewöhnlichen künstlerischen Begabung. Als Fotograf war er gesellig und sehr offen. Privat hingegen erlebte ich ihn in Kontakt mit anderen Menschen – mit Ausnahme von Familie und Freunden — eher schüchtern. Ich durfte eine unbeschwerte und wunderschöne Kindheit geniessen, gespickt mit vielen lustigen Momenten. Auch seine Kollegen schätzten und respektierten ihn sehr, sowohl privat, als auch als beruflich. 

Ihr Vater kämpfte jahrelang für die Anerkennung und Rechte des Fotoreporters als Beruf und sagte dabei stets: «Wir sind Profis und keine Raben». 1977 war es dann endlich soweit. 

Die Anerkennung seiner Berufsgattung war für meinen Vater eine Herzensangelegenheit. Als Gründungs- und Vorstandsmitglied der AIRF (Associazione Italiana Reporter Fotografi, Anm. d. Red.) setzte er sich gemeinsam mit seinen Kollegen unermüdlich für die Aufnahme der Fotoreporter in das Berufsregister der Journalisten ein. Er dachte dabei nicht an sich, sondern immer an den Berufsstand der Fotoreporter, die vom damals Erreichten heute noch profitieren. 

Rom war die Stadt von Marcello Geppetti. Hat er auch im Ausland gearbeitet?

Mein Vater arbeitete punktuell auch in anderen Städten, sein umfangreiches Archiv besteht jedoch hauptsächlich aus Fotomaterial von Rom. Während seiner langjährigen Tätigkeit erfasste er sämtliche Ereignisse und Aspekte der Jahrzehnte der «Ersten Republik» in Italien, sowohl auf sozialer, wie auch auf politischer Ebene. Von der Dolce-Vita-Periode, über die 68-er Bewegung und die bleiernen Jahre bis hin zur Entführung von Aldo Moro, usw. Meinen Vater nur als grossen Paparazzo zu definieren, wäre daher falsch. Während der ersten sechs Jahre war er zwar hauptsächlich als Paparazzo unterwegs, gleichzeitig arbeitete er aber auch schon in anderen Bereichen wie Sport oder Politik. 

Wie erlebte Marcello Geppetti als Fotograf die politisch schwierigen 1970er Jahre und die Zeit des linksextremen Terrorismus? 

Aus professioneller Sichtweise passte er sich der jeweiligen Situation an. Das Adrenalin half ihm zweifelsohne, sich in dieser Rolle zurechtzufinden. Während andere berühmte Fotografen gezielt Position für die eine oder andere Seite bezogen und die Wahrheit erzählten, die sie für richtig hielten, war es meinem Vater wichtig, die schwierigen Momente fotografisch zu dokumentieren, ohne jegliche Ideologie. Er wollte Geschichten ohne Schuldzuweisungen erzählen. Eines der furchtbarsten und aus ästhetischem Gesichtspunkt gleichzeitig eindrucksvollsten Bilder widerspiegelt die Sinnlosigkeit des Todes, als die letzte Aktivistin der Roten Brigaden während eines Feuergefechts umkam und diese schreckliche Periode danach endete. Aus ethischen Gründen und aus Respekt haben wir dieses Foto nie verkauft. In Ausnahmefällen zeigen wir es an Ausstellungen. 

Sie arbeiten derzeit an der Digitalisierung des gesamten Bildarchivs von Marcello Geppetti, das rund eine Million Fotos im Zeitraum zwischen 1958 – 1998 beinhaltet. Wie weit seid Ihr schon?

10 % bis 12 % der Fotos sind digitalisiert. Aufgrund von Covid hat sich alles ein wenig verzögert. Nebst dem eigentlichen Prozess der Digitalisierung achten wir auch auf eine detaillierte Strukturierung des gesamten Materials, um das bestmögliche Resultat zu erhalten.

Marco Geppetti, vielen Dank für das Gespräch!

König der Paparazzi

David Schonauer, Redakteur von American Photography, definierte ihn einst als den meist unterschätzten Fotografen der Geschichte. 1933 in Rieti geboren, gehörte Marcello Geppetti zur Gruppe jener Fotoreporter, die Federico Fellini im Film «La Dolce Vita» zur Kreation des Begriffs Paparazzo inspirierten. Die 1950er und 1960er Jahre werden heute noch als das goldene Zeitalter des italienischen Films bezeichnet. Während der sogenannten Dolce-Vita-Periode gaben sich die Hollywoodstars in den «Cinecittà-Studios» die Klinke in die Hand. So wurden beispielsweis epische Werke wie Cleopatra oder Ben-Hur in Rom gedreht. Abends verlagerten sich die Filmcrews jeweils in die Restaurants und Bars der italienischen Hauptstadt. Ob bekannte und zukünftige Leinwandheldinnen und ‑helden, ob Regisseure oder Produzenten. Sie alle waren in der berühmten Via Veneto anzutreffen. 

Dank Marcello Geppettis feinem Gespür für den richtigen Augenblick und seinen einzigartigen Schwarz-Weiss-Bildern erlangten viele Filmstars einen veritablen Mythenstatus. Der 1998 verstorbene Italiener verstand es aber auch, andere Facetten seines Könnens zu zeigen. Während der Jahre der politischen Gewalten und des linksextremen Terrorismus (bleierne Jahre) gelang es ihm, die schrecklichen Geschehnisse in eindrücklichen Bildern zu erzählen. Heute kümmert sich der Sohn, Marco Geppetti, gemeinsam mit der Marcello Geppetti Media Company um das Erbe des Vaters. Sie arbeiten derzeit an der Digitalisierung der Bilder. Keine einfache Aufgabe, denn im Archiv des Starfotografen befinden sich über eine Million Schnappschüsse. 

marcellogeppetti​.com