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In einer Zeit, in der allenthalben nur von der Digitalisierung die Rede ist, rücken die traditionsreichen Tageszeitungen das Leseerlebnis in gedruckter Form wieder in den Fokus. Print ist ein Bekenntnis zu mehr Qualität im Leben.

Das ist provokant: die Seite 1 nur mit Text gefüllt. Mit einem Leitartikel und einer Meldung. Und sonst nichts. Kein grafisches Element, kein Aufmacherfoto, nicht einmal eine Karikatur, stattdessen geballte Information. In die Tiefe gehend, Standpunkte formulierend. So gibt sich die Neue Zürcher Zeitung jeden Samstag. Fast, als hätte sich seit 1780, ihrem Gründungsjahr, nichts Wesentliches verändert. Dem ist natürlich nicht so. Ganz im Gegenteil. Allenthalben leiden gedruckte Zeitungen unter Leserschwund und digitalem Konkurrenzdruck. Schnell soll die Information verfügbar sein, im Wisch-und-weg-Modus sowie appetitlich portioniert. Konsumierbar im Vorübergehen. News to go, gewissermassen. Notabene gratis. Kein Zeitungshaus, das darunter nicht gelitten hätte oder immer noch leidet. Reihenweise verabschieden sich Titel aus unserem Alltag, manche leise und unauffällig. Andere wieder – nach zahllosen Anläufen, sich neu zu erfinden – als Internet auf Papier oder als auf Krawall gebürstetes Skandal- und Revolverblatt. In rauen Mengen freihändig verteilt im öffentlichen Raum. Schnell überflogen, schnell vergessen. Ein hektisches Aufbäumen gegen das Unabwendbare, den Verlust der einstigen Position. Print ist tot, formulierte vor Jahren wieder und immer wieder Terence Lennox, das grandios-bissige Alter Ego des Wiener Fotografenautors Manfred Klimek. Und nun das: Die Tageszeitung lebt. Gut, das ist ein wenig zu allgemein. Etwas zu positiv gestimmt. Formulieren wir es präziser. Die traditionsreichen Tageszeitungen leben wieder auf. Es sind die alten Damen, die sich ihrer Stärken besinnen, ihrer Krisen, die sie bereits durchlebt haben, ihrer Möglichkeiten. Die Neue Zürcher als unbeirrbar distanziertes Blatt zum Beispiel: wider die unentwegte Aufgeregtheit der Welt und stets alles im Blick. Dazu eine Anekdote. Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fällt und dies weltweit Schlagzeilen nach sich zieht, da würdigt die NZZ das ­Ereignis lediglich mit einer kurzen Meldung auf Seite 1. Es sei absehbar gewesen, erklären die zuständigen Redakteure später, mithin für jeden versierten Beobachter alles andere als eine Überraschung. Und eben keine Schlagzeile wert. Das ist Zeitung gewordener Stoizismus. Daran hat sich nichts geändert.

Stilvoll aufmüpfig

Dem Guardian liegt die Ruhe hingegen gar nicht im Blut, so wenig wie seinem Publikum. 1821 in Manchester gegründet, schlägt er sich verlässlich auf die Seite der werktätigen Massen, versteht sich in jeder Hinsicht als kritisches linksliberales Blatt, durchaus als Plattform grosser ­Kampagnen. Er insistiert, untersucht, gräbt tief und fragt nach. Die NSA-Affäre, die Paradise Papers, die Privatkorrespondenz von Prinz Charles ebenso wie die Verwerfungen innerhalb der Labour Party sind seine Themen. Und noch viel mehr. Er ist ein, er ist das streitbare ­Kultur- und Debattenblatt, provokant und pulitzerpreisgekrönt. Das verleiht Glaubwürdigkeit, die wichtigste Währung im Verhältnis zu den Lesern. Für den Guardian geradezu überlebensnotwendig, denn seine Printausgabe wird nur 140000 Mal verkauft und erreicht in Grossbritannien gerade mal 780000 Leser. Längst lebt das Blatt von seiner Onlinepräsenz, längst ist die ­digitale Ausgabe zu einem globalen Blatt geworden, zum Umsatzträger dank freiwilliger Spenden Hunderttausender Leser. Und längst schon wurde die Printausgabe geschrumpft, aufs handlichere Tabloid-Format, bunt und dick und durchaus laut. Das unbedingte Entweder-Oder, Print oder digital, das gilt nicht mehr. Die Vorteile und Möglichkeiten des Publizierens online ­stehen ausser Diskussion. Die gedruckte Tageszeitung wird mithin zu einer Haltungsfrage, ja auch zu einem Statement gegenüber einem selbst und der Welt. Wer eine Zeitung zur Hand nimmt, wer sich auf das haptische und auch immer noch olfaktorische Erlebnis einlässt, wer zwischen den Seiten und in den Nachrichten versinkt, kommt in den Genuss einer höchst konzentrierten kognitiven Aufnahme. Es ist hinlänglich und wissenschaftlich fundiert erwiesen, dass auf Papier Gelesenes besser verstanden und gemerkt wird. Die gedruckte Tageszeitung als Halt in der Welt, sie besser zu verstehen.

«Denn das Analoge wird das Besondere sein, das Alleinstehende, das die Person auszeichnet, die es im Gebrauch hat und diesen Gebrauch lebt. Print lebt also.» Terence Lennox – Alter Ego von Manfred Klimek

Wolkenkratzer voller News

Daran arbeiten nicht weniger als 1400 Redakteure und Redakteurinnen im von Renzo Piano gestalteten New York Times Building in Manhattan. Dazu gesellen sich noch rund 100 Männer und Frauen in der Meinungsredaktion, denn nichts trennt die 1851 gegründete NYT strikter als Meldung und Kommentar. Und kaum eine andere Zeitung verlangt von ihren Lesern einen Kommentar von Seite 1 auf Seite 10, die Aufmachergeschichte auf Seite 3 im Blattinneren fertig zu lesen, weshalb beim Blättern schon ein Eindruck von all dem zu gewinnen ist, was ­einen noch in diesem Weltblatt erwartet. Und ein Weltblatt ist sie, die New York Times. Eine Ikone. Rank und schlank und hochgewachsen in ihrem Format, nur eben etwas eigenwillig in der Leserführung, aber ein Genuss. Ein Blatt, das gern auch nur als Schmuckwerk dient, sozusagen als Accessoire. Sie atmet auf eine ganz spezielle Art und Weise Eleganz und Weltläufigkeit, sie ist wie ein Versprechen dafür, dass alles sich klären wird. Deshalb ist sie eben kein harmloser Gegenstand der Mode, sondern vielmehr einer der demokratischen Debatte, des versierten Diskurses, der fundierten und überlegten Kritik, die nichts und niemanden ausnimmt. Und deren sprachliche Brillanz sich eben gerade auf den gedruckten Seiten so unwahrscheinlich eindrucksvoller ausnimmt als im digitalen Kleid. Es ist mit den gedruckten Exemplaren etwas Widersprüchliches. Nichts, so das Sprichwort, ist so alt wie die Tageszeitung von gestern. Das war vor 100 Jahren schon richtig, das hat in Zeiten von Radio und TV noch mehr an Geltung gewonnen, das stimmt in Zeiten digitaler Information noch viel mehr.

Wortgewaltig unverblümt

Trotz alledem hält sich das Druckwerk hartnäckig und will und will einfach nicht weichen. Aus gutem Grund. Jedes Zeitungsexemplar wird im öffentlichen Raum auch wahrgenommen. Das Kleinformat geradeso wie die, im Wortsinn, grossen Blätter. Hier konkurrieren sie um Aufmerksamkeit, um Anerkennung und Debattenhoheit. Sie sind die tagtägliche plakative Demonstration einer bestimmten Haltung gegenüber der Welt, nicht notwendigerweise politisch simpel auf links oder rechts gestrickt als vielmehr im Hinblick darauf, wie differenziert das Zeitgeschehen wahrgenommen wird. Selbst wenn der Leser dann hinter dem Blatt zu verschwinden scheint. Ein erprobtes Sujet, nebenbei bemerkt: ein Mensch, der hinter seiner Zeitung verschwindet, zuordenbar nur durch die Umgebung. Aber wichtig und zentral die Botschaft, dass dahinter, hinter dem Grossformat und damit hinter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ein kluger Kopf steckt. Was sonst? Ausgerechnet die konservative grosse bürgerliche Zeitung Deutschlands hat sich früh schon als innovativ erwiesen. Ihr Feuilleton als Tummelplatz freier Geister und das ganze Blatt als Statement Frank Schirrmachers, der, als Craig Venter das menschliche Genom entziffert, die ganze lange Buchstabensuppe abdrucken lässt. Und damit ganz en passant verkündet, dass nun neue Zeiten anbrechen, Zeiten, in denen kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Wo die New York Times in die Höhe strebt, der Guardian Stellung bezieht und die NZZ sich in Äquidistanz übt, da geht die FAZ lustvoll in die volle Breite der aktuellen Debatten, wortgewaltig, stilerprobt und unverblümt. 

Alte Frische

Manche Zeitung breitet sich nicht nur inhaltlich aus, in Form von Erweiterungen, gewissermassen Töchterausgaben. Wie es die französische Tageszeitung Le Monde macht. Die grosse liberale Zeitung aus Paris, die der Welt die Welt erklärt mit fundierter Analyse, feinziselierten Kommentaren und Essays, also eben jenem Unterfutter, welches für gepflegte und fruchtbringende Debatten schlicht unentbehrlich ist. Über seine monatlich erscheinenden Töchter, die französisch‑, englisch- und die deutschsprachige Ausgabe Le Monde diplomatique schafft das Blatt ganz en passant und elegant auch eine europäische Öffentlichkeit. Das ist die Kraft des Papiers. Es zieht Autoren geradezu magnetisch an. Und wo lässt sich das besser nachvollziehen als am Beispiel der auflagen- und reichweitenstärksten Tageszeitung Italiens, am 1876 gegründeten Corriere della Sera. Autoren von Italo Calvino, Alberto Moravia, Indro Montanelli, Francesco Alberoni bis hin zu Sergio Romano, Literaten, Historiker und Diplomaten, beinahe die gesamte und an Persönlichkeiten nun wirklich nicht arme italienische Geisteswelt ist im Corriere vertreten. Charakteristisch für ihn, er ist wahrlich kein Leichtgewicht, kein Fähnlein im Wind. Weswegen er zur Hand genommen wird. 

Um noch einmal auf Terence Lennox zurückzukommen: Im April 2019 meldete er sich auf derstandard​.at zu Wort und konstatierte eine Sehnsucht nach dem Analogen: «Denn das Analoge wird das Besondere sein, das Alleinstehende, das Singuläre, das die Person auszeichnet, die es im Gebrauch hat und diesen Gebrauch lebt. Print lebt also.» Dem ist nichts hinzuzufügen.

Print-Stars

Analoge Trumpfblätter: mit wem Zeitunglesen zum haptischen und kognitiven Vergnügen wird.

  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
    Gründungsjahr: 1949
    Verkaufte Auflage: 226678 Exemplare
    Haltung: konservativ, bürgerlich-liberal, debattenstark und erprobt

    faz​.net
  • The Guardian
    Gründungsjahr: 1821 (bis 1959 als Manchester Guardian geführt)
    Verkaufte Auflage: 132821 Exemplare
    Haltung: linksliberal, intellektuell

    theguardian​.com
  • Neue Zürcher Zeitung
    Gründungsjahr: 1780
    Verkaufte Auflage: 100421 Exemplare
    Haltung: freisinnig-demokratisch

    nzz​.ch
  • The New York Times
    Gründungsjahr: 1851
    Verkaufte Auflage: Mo-Fr 571500, So 1085700 Exemplare
    Haltung: liberal, intellektuell, investigativ

    nytimes​.com
  • Le Monde
    Gründungsjahr: 1944
    Verkaufte Auflage: 302600 Exemplare
    Haltung: Linksliberal

    lemonde​.fr
  • Corriere della Sera
    Gründungsjahr: 1876
    Verkaufte Auflage: 622070 Exemplare
    Haltung: Bürgerliche Mitte

    corriere​.it

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13. November 2023 Carlton 01

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carltoncannes​.com

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22. März 2021 Freed 05

Einsame Spitze

Die Schuhmanufaktur Freed of London verbindet Tänzerinnen und Tänzer seit nunmehr 90 Jahren auf ganz besondere Weise mit den Brettern, die die Welt bedeuten.

Ein dunkler Theatersaal, das Publikum so leise, dass man eine ­Stecknadel fallen lassen hören könnte. Das Schein­­werferlicht auf der Bühne folgt einer Ballerina, die in ihrer Anmut und Eleganz wirkt wie von einem anderen Stern. Grazil schwebt sie über die Bühne, scheint die Schwerkraft mühelos zu überwinden, als würden physikalische Gesetze nicht für sie gelten. Das kunstvoll gearbeitete Kostüm aus schimmernder Seide und wolkigem Tüll betont die Leichtigkeit ihrer Bewegungen. Sie springt, dreht Pirouetten und läuft sanften Schrittes in die Arme ihres männlichen Tanzpartners. Ein federleichtes und dennoch kraftvolles Wesen, getragen von unscheinbar anmutenden Schuhen, die mit sanft schimmerndem rosafarbenem Satin bedeckt sind und ihr das Unmögliche möglich machen: den Tanz auf ihren Zehenspitzen. Hinter all der Grazie, die uns als Zuschauer oft sprachlos in unserem Theatersessel zurücklässt, stehen jedoch zwei Dinge, die wir so gar nicht mit den zarten Attributen, die dem Balletttanz zugeschrieben werden, in Verbindung bringen wollen: Disziplin und harte Arbeit. Für Tänzerinnen und Tänzer, die nicht nur körperlich an die Spitze wollen, steht viel auf dem Spiel. Wie bei jedem Profisport wird der Körper an seine Grenzen gebracht, Verletzungen stellen ein ständiges Risiko dar. Neben der guten Kenntnis des eigenen Körpers und dem Einhalten von Ruhephasen ist vor allem eines unerlässlich: die richtige Ausrüstung. Wer durch die Tanzschuhmanufaktur Freed of London geht und den Mitarbeitern bei der Fertigung eines Spitzentanzschuhs zusieht, weiss schnell, dass die kostbaren Füsse der Ballerinen dieser Welt hier in besten Händen sind.

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