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Verhaltensbiologe Dr. Kurt Kotrschal erzählt, warum uns nichts Besseres passieren konnte, als auf den Hund zu kommen.

Dr. Kurt Kotrschal heult gern mit den Wölfen – ganz im Sinne der Wissenschaft. Sein Forschungsgegenstand ist gleichzeitig Beruf und Berufung: die Beziehung von Tier und Mensch. Der Verhaltensforscher und Biologe beobachtet das Verhalten von Wölfen, Hunden und Vögeln und nähert sich damit den grossen Fragen der Menschheit: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? Als Leiter der Konrad Lorenz Forschungsstelle erforschte er das menschliche Zusammenleben von Graugänsen und die erstaunliche Intelligenz der Rabenvögel. Mit der Gründung des Wolfforschungszentrums (WSC) in Ernstbrunn (AT) erfüllte er sich einen Lebenstraum und liefert eindeutige Beweise dafür, dass unsere vierbeinigen Lebensgenossen mehr mit uns gemein haben, als auf den ersten Blick zu erahnen ist. 

Was hat Ihre Faszination für das Thema Beziehung Mensch – Tier geprägt?

Es ist ja seit jeher ein ideologischer Streit zwischen der Geisteswissenschaft und der Biologie: ob der Mensch tabula rasa auf die Welt kommt oder wie weit er bereits von Geburt aus geprägt ist. Das ist ein sehr spannendes Feld, und im Rahmen meiner Forschung konnte ich immer wieder zeigen, dass der Mensch das Produkt der Evolution ist, dass er eine Millionen Jahre alte Stammesgeschichte hat und in vielen Bereichen eng mit Vögeln, Hunden und Wölfen verbunden ist. Der Mensch hat aufgrund der sozialen Evolution ja ein grosses Gehirn, das rationales Handeln ermöglicht. Aber immer wieder kommen alte Antriebe dazwischen, die zu verschiedensten Konflikten führen.

Diese Konflikte thematisieren Sie auch in Ihrem letzten Buch «Mensch: Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen». Welche sind die wesentlichen?

Der Konflikt der Geschlechter etwa. Wir leben in patriarchalen Strukturen. Als Jäger und Sammler waren wir egalitär organisiert, als die Menschen aber begannen, sesshaft zu werden, wurde es auch immer wichtiger, sich vor Überfällen zu schützen. Und zur Verteidigung waren Männer aufgrund ihrer Physiologie besser geeignet. Und diese Struktur ist bis heute spürbar. Man denke nur an den immer wieder erklingenden Wunsch nach einem «starken Mann» an der Spitze oder an die vermehrten Fälle von sexualisierter Gewalt. Dagegen hilft nur eine kohäsive, liberale Demokratie mit absoluter Gleichstellung der Geschlechter. 

Sie beschreiben den Menschen als irrationales Wesen – können Sie das etwas näher erläutern?

Der Mensch ist höchst sozial und kooperativ, und dennoch bereit zu töten. Ausserdem gibt es die allzu menschliche Sucht nach Sinn und Überlegenheit. Das alles sind durchaus irrationale Komponenten.

Wesenszüge, die wir mit dem Wolf teilen?

Wölfe und Menschen sind sich sehr ähnlich, mehr als man auf den ersten Blick erahnt. Wölfe wie Menschen kooperieren gut innerhalb ihrer Clans auf der Jagd, bei der Fürsorge für ihren Nachwuchs, aber auch in teils blutigen Konkurrenzkämpfen mit den Nachbarn. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass gerade Wölfe in vielfältiger Hundegestalt zum engsten Tierkumpanen der Menschen wurden. Hunde und Wölfe sind die ältesten Weggefährten der Menschen. Wir ähneln uns – im Denken, Fühlen und im sozialen Verhalten.

Wie darf man sich die konkrete Forschungsarbeit mit Wölfen am WSC vorstellen?

Wölfe sind von Natur aus scheu. Um ihr Verhalten optimal beobachten zu können, ziehen wir daher die Welpen etwa ab dem zehnten Tag nach ihrer Geburt – noch bevor sie die Augen öffnen – von Hand mit der Flasche auf. Viele meinten, das geht nicht. Doch im Gegenteil, es funktioniert wunderbar. Wir hatten bis jetzt auch noch keinen einzigen Unfall bei unserer Arbeit. Unsere Wölfe entwickeln auf diese Weise dieses Grundvertrauen, das ihnen später erlaubt, mit bekannten Menschen entspannt zusammenzuarbeiten. Und das ist auch für mich immer wieder ein wunderbares Erlebnis. Ich persönlich erlebe den Wolf als spannenden, verlässlichen und vor allem klugen Partner.

Wie können Wolf und Mensch koexistieren?

Wenn man so will, sind wir von Wölfen umzingelt. Allein in Italien leben 2000. Es geht um Bewusstseinsbildung und natürlich auch um die Entwicklung eines funktionierenden Herdenschutzes. Was auf keinen Fall die Lösung sein kann, ist, wenn Wildtiere gewildert werden – trotz europäischer Standards, die einfach nicht eingehalten werden. Fischotter, Biber, Wölfe … sie alle sind relevant für unser Ökosystem. Weltweit ist die Häufigkeit von Wildtieren im Schnitt um 60 Prozent zurückgegangen. Und 97 Prozent unserer Biomasse der Landwirbeltiere sind Nutztiere. Das ist ein Trend, der unbedingt gestoppt werden muss.

Gleichzeitig erfreut sich der Hund als Haustier grosser Beliebtheit. Wie erklären Sie sich das?

Zu Recht gilt der Hund als bester Freund des Menschen. Trotz aller technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ist die Sehnsucht nach einer intensiven Beziehung zu einem Hund ungebrochen. Aus gutem Grund: Kinder, die mit Hunden aufwachsen, profitieren massiv in ihrer körperlichen, emotionalen und sozialen Entwicklung, Hundehalter sind glücklicher, gesünder und emotional stabiler. Hunde schützen uns vor Altersdepression und Vereinsamung. 

Vielen Dank für das Gespräch!