In keinem anderen arabischen Land findet sich eine ähnlich hohe Dichte an authentisch gebliebenen kulturellen Traditionen wie in Oman. Sie führen entlang uralter Bewässerungskanäle in Rosengärten und entlang der legendären Weihrauchstrasse zu vergessenen Forts. Fast immer im Programm: eine Tasse des Nationalgetränks «kahwa» mit freundlichen Einheimischen.
Die uralte Flinte, ein funkelnder Khanjar-Krummdolch, rissige braune Falten, die an die Steinverwerfungen des nahe gelegenen Hajar-Gebirges erinnern – wie gemalt sieht der Alte aus. Doch plötzlich kommt Leben in seine dürren Glieder. Blitzschnell fasst er sich eine vorüber trabende Ziege, beklopft die dazugehörigen Rippen, befühlt mit Kennermiene die rosaroten Hoden. Wenig später ist der Deal perfekt. Diesen und keinen anderen Bock möchte der Mann ins kleine Bergdorf mitnehmen! Im schattigen Rondell von Nizwas Viehauktion kann man solche Szenen jeden Freitag sehen. Stundenlang drehen die Hirten mit Schafen und Ziegen neben einem historischen Souk ihre Runden. Die Goldmasken der Beduinenfrauen blitzen in der Sonne. Weissbärtige Methusalems mit Krummdolchen machen die berühmteste Viehmesse des Landes auch zum Foto-Eldorado.
Ein Blick in Omans Vergangenheit
Pittoresk ist Nizwa freilich auch an anderen Tagen. Nicht umsonst gilt die 172 km von Maskat gelegene Bergstadt als Hochburg omanischer Tradition. Der alte Souk, dessen schwere Holztore immer noch jede Nacht geschlossen werden, galt einst als einer der grössten von Arabien. Besser als an anderen Orten des Sultanats kann man hier in die Vergangenheit des Omans eintauchen. Das Labyrinth der verwinkelten Gassen hat sich zwar gelichtet, die Unterteilung nach Branchen prägt den fein gefliesten Fisch‑, Stoff‑, Töpfer- und Dattelmarkt aber weiterhin. Dass Nizwa bis heute als Zentrum der omanischen Silberschmiede und als lokales Mekka für Kunsthandwerk gilt, merkt man schnell. Und das gilt auch für die traditionellen Nuancen des Alltags, denen man hier auf Schritt und Tritt begegnet. Vor einem Kaffeehaus sitzen Männer mit blubbernden Wasserpfeifen. Gespannte Segeltücher halten die Sonne auf Distanz und erinnern an die Weisheit altarabischer Bautraditionen, die heute in Form von Windtürmen, Luftbrunnen oder unterirdischen Lüftungskanälen ein spannendes Revival erleben. In Nizwa ist der Blick auf die vormoderne Ära besonders komplett. Verwinkelte Treppen führen auf riesig dimensionierte, runde Kanonentürme, erinnern so an die Bedeutung als «heimliche» Hauptstadt des Landes. Wehrhaft war das unangefochtene Zentrum der inneromanischen Bergregionen allemal. Es gab Zeiten, in denen Nizwa ungebetene Eindringlinge mit heissem Dattelhonig empfing – serviert durch Schlitze über den Türstöcken verschlossener Pforten. Blickt man vom Wehrgang auf die in Gold und Blau glasierte Kuppel der angrenzenden Sultan Quaboos Moschee und auf die verschachtelten Wohnbereiche der Theologen, dann weht einen ein Hauch von Historie an.
Ein Rosengarten, versprochen!
Der Stolz auf alte Traditionen prägt die gesamte Region. In kaum einem anderen arabischen Land haben sich Kunsthandwerk, traditionelle Landwirtschaft oder Architektur ähnlich gut erhalten wie in Oman. Neben modernen Interpretationen islamischer Kunst und Bauweise finden sich hier historische Forts und zahlreiche Dörfer, die auf höchst authentische Weise vom Leben längst vergangener Zeiten erzählen. Das Städtchen Birkat al-Mauz, wenige Kilometer vor Nizwa, ist so ein verstecktes Kleinod. Lehmgraue Häuser ducken sich unter ein altes Fort. Die hier besonders süssen Datteln schätzt man im ganzen Land. Vor allem aber ist es die Pforte zum 2000 Meter hohen Saiq-Plateau, in dessen frischer Bergluft herrlich duftende Damaszener-Rosen gezüchtet werden – in bis zu fünfhundert Jahre alten Rosengärten, in denen sich nun 7000 Sträucher verteilen. Jeden Frühling verwandeln gefüllte Rosenknospen die Berghänge des Jabal Akhdar in ein rosa leuchtendes Gesamtkunstwerk und Besucher können deren aufwendige Ernte miterleben. Bereits in den frühen Morgenstunden beginnt die händische Ernte. Mit besonderem Griff, ganz leicht und ohne Zerkratzen der Hände, werden die Rosenblüten dann gepflückt, um, in Körbe gelegt, noch am selben Tag weiterverarbeitet zu werden – es ist der Auftakt zu einer Reise in das olfaktorische Wunderland Oman. Damaszener-Rosen, eine der ältesten Rosensorten der Welt, sind ein Favorit moderner Aromatherapien. Ihr ätherisches Öl versammelt über 400 Substanzen, was sie in der Heimat Oman zum uralten Heilmittel und zur beliebten Zutat zahlloser kulinarischer Genüsse macht. Rosenblätter unter dem Kopfkissen sorgen für gute Träume, auch das sagt man hier. Um die geernteten Rosenblüten frisch zu halten, werden sie zunächst auf eine Matte gelegt, bevor sie zum zweistufigen Destillieren in einer Metallschale landen, die sich wiederum in einem archaisch anmutenden Lehmofen befindet. Die Flüssigkeit, die nach mehrstündigem Erhitzen zum Rosenwasser kondensiert, tropft dann in eine weitere Schale, den vollen Duft entfaltet sie frühestens nach einem Monat. Seit dem neunten Jahrhundert wird «geräuchertes» Rosenwasser in Oman auf diese Weise hergestellt. Wer den Duft vor Ort eingesogen hat, gemeinsam mit den Bildern uralter Bergdörfer, vergisst ihn ein Leben lang nicht.
Uralte Ingenieurskunst
Die Gegend um Nizwa ist reich an besonderen Stätten, an denen altes Wissen und das moderne Zauberwort von Nachhaltigkeit auf mitunter magische Weise verschmelzen. Bahla Fort, rund 40 Kilometer westlich von Nizwa, umgibt eine elf Kilometer lange Stadtmauer, was es zur grössten Ruine des Landes macht. Über zehn Meter ragen die Burgtürme inmitten einer üppigen Oase auf. Teile der angebauten zweistöckigen Lehmhäuser sind noch heute bewohnt und auch der alte Dorfbrunnen versieht weiterhin seinen Dienst. Wer durch Bahlas Gässchen schlendert, stösst in den Hinterhöfen auf die berühmten Töpfer des Ortes, die hier ihre Ware nach Jahrtausende alter Methode brennen: riesige Vorratsbehälter für Weizen und Datteln, poröse Krüge zum Wasserkühlen. Bahla liegt wenige Autominuten vor dem ähnlich imposanten Fort von Jabrin – das sich im Inneren als eleganter Wohnpalast entpuppt. Schon vor Bahla führt eine Abzweigung in die immer steiler ansteigenden Gebirgszüge des Jebel Akhdar hinein. Hier trifft man auf die Ruinen des aus rötlicher Erde errichteten Al-Hamra – wo ein alter, überdachter Basar gerettet werden konnte – und schliesslich den Bergort Misfat Al Abriyeen – der von einer ganz anderen uralten Tradition zeugt. Wie ein Garten Eden breiten sich rings um den Ort terrassierte Granatapfel- und Zitrusfelder aus. Das vor 2500 (!) Jahren ausgetüftelte Aflaj-Bewässerungssystem ist hier – wie an vielen Orten des Inneromans – noch intakt und wird durch strenge Gesetze kontrolliert. Früher achteten Wasserwächter mittels eines durchlöcherten Gefässes, das sich langsam mit Wasser füllte, auf die gerechte Verteilung des Lebenselixiers. Wie komplex die längst zu UNESCO-Weltkulturerbe erhobene geniale Ingenieursleistung ist, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, kann man bestenfalls erahnen. Immerhin bilden die Aflaj nicht bloss eines der raffiniertesten Bewässerungssysteme der Erde, sondern ein zugleich kaum überschaubares. Tausende Kanäle durchziehen das trockene Wüstenland, verlaufen unter- und überirdisch, durch Tunnel und über Viadukte, kunstvoll und durch Erfahrung verfeinert, ohne hydraulisches Hilfswerk und nur von Gefällen geleitet. Das ergibt in Summe ein Meisterstück kommunalen Miteinanders.
Bleiben Sie zum «kahwa»!
Der Kitt für diesen Zusammenhalt ist vielfältig. Von der Liebe der Omani zum Rosenwasser war bereits die Rede. Von der Pflege ihrer besonderen Kaffeekultur noch nicht. Wer meint, bereits alles über Kaffee zu wissen, wird hier bereitwillig eines Besseren belehrt. Olivgrün und keineswegs in herkömmlichen Mokka-Abstufungen wird das Nationalgetränk «kahwa» serviert. Süss und stark zugleich, mitunter mit Kardamom und Nelken verfeinert, und stets in kleinen, henkellosen Tassen. Vor allem aber ist «kahwa» ein Symbol für die sprichwörtliche Zeremonie omanischer Gastfreundschaft, eingebunden in eine komplexe Etikette und flankiert von einem kulinarischen Ensemble aus Datteln, frischen Früchten und Backwaren. Das reiche kulturelle Erbe, das dieses Land so einzigartig macht, äussert sich auf unterschiedliche Weise. Während regionale Besonderheiten wie die Herstellung von Rosenwasser, die Wandteppiche und bunten Matten des Städtchens Al-Khaburah oder der nur für Frauen geöffnete Markt von Ibra den Lokalstolz befeuern, findet sich Anderes, gleichmässig verteilt, im ganzen Land. Vielleicht hat es mit den kriegerischen Auseinandersetzungen längst vergangener Tage zu tun, mit dem generell harschen Lebensraum der benachbarten Wüste oder mit strengen Clan- und Familienstrukturen, dass ein Architekturdetail hier besonders ins Auge sticht. Genau: Es sind jene aufwendig gestalteten Pforten und Haustüren, die bauliche Membran zwischen Innen und Aussen, die für Oman typisch sind. Kaum ein Tag, an dem man nicht bewundernd innehält: vor einer mittelalterlichen Festung, einem Palast oder vor einer aufwendig verzierten, in auffälligen Farben geschmückten Tür eines traditionellen Wohnhauses.
Duftender Orient
Für eine uralte Handelsware und Tradition des weiter südlich gelegenen Dhofar gilt irgendwie beides: regional verwurzelt, längst typisch für das gesamte Sultanat und historischer Beitrag zum olfaktorischen Weltkulturerbe in einem. All das lässt sich über die Wiege des Weihrauchs sagen, jenes kostbaren Harzes, mit dem die Heiligen Drei Könige vor dem neugeborenen Jesuskind erschienen – ein Besuch vergleichsweise jüngeren Datums. Denn bereits viele Jahrtausende zuvor war die Duftmarke Made in Oman als Hochgenuss und kultische Gabe in der Menschheitsgeschichte verankert – 7000 Jahre, um einigermassen präzise zu sein, und quer durch alle Kulturen der Alten Welt. Dass die UNESCO das trockene Tal Wadi Dawkah, in dem heute mehr als 5.000 Exemplare der Boswellia sacra, des Arabischen Weihrauchbaums wachsen, zusammen mit antiken Häfen der sagenumwobenen Weihrauchstrasse zum Weltkulturerbe erklärt hat, macht nicht bloss die Bewohner des Dhofar stolz, sondern tout Oman. Der omanische Royal al-Hojari Weihrauch, der grünlich schimmert und fast transparent wirkt, gilt als teuerster weltweit. Wer in der Region unterwegs ist, kann vieles über Aromaprofile lernen, über grosse und besonders schön geformte Harzperlen und über Farbtypen, die für unterschiedliche Gerüche und Wirkungen stehen. Smaragdgrüne Perle als oberste Qualität, zitronige Silber-Sorte oder schwerer, zimtiger Amber Weihrauch – auch an dieser Stelle lädt Oman zu einer ganz besonderen Reise ein. Sie führt ins Königreich der Düfte und öffnet Pforten in eine uralte Welt.
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