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Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, über die Kraft der Musik.

In einem aktuellen Buch der jungen Autorin Ronja von Rönne habe ich gerade den Satz gelesen: «Mit Musik geht alles leichter.» Würden Sie diesen Satz unterstreichen? 

Musik ist schon sehr vieles und deutlich mehr als ein Sedativum. Für den Musiker ist das eine ganz andere Herausforderung als für den Zuhörer, die Zuhörerin. Sich eine Dramatik in gewisser Weise zu eigen zu machen, ist auch ein Kampf mit dem Engel, ein Kampf, der prägend ist für ein ganzes Leben. Der Zuhörer ist in einer deutlich komfortableren Situation: Er kann diesen Kampf in einem sehr schönen Moment miterleben, aber meistens erlebt er die Sublimierung des Ganzen, und dann kommen so viele Dinge hinzu, die in gewisser Weise aussermusikalisch sind. Grosse Interpreten haben oft eine Aura, eine Erzählkunst, eine Mitteilungsgabe, die die Zuhörer regelrecht gefangen nimmt.

Was vielleicht beide verbindet, ist nicht nur ein gewisses Glücksempfinden, sondern wohl auch manchmal ein Schmerz, den die Musik vermittelt, oder nicht?

Ja, das Glück des Musikers stellt sich manchmal ein, und man weiss nicht wirklich, warum. Was wir als Musiker tun, ist, eine Disposition für unser eigenes Glück zu schaffen. Und plötzlich kommt es, plötzlich ist es da. Alles funktioniert, jeder Atem ist richtig, jede Bewegung stimmt, und es ist auch sicher, dass es wenige Minuten später wieder weg ist – und dann fängt der Kampf von Neuem an. 

Kann man sich eine Art Lustprinzip erhalten, wenn die Musik zur Arbeit wird und der Kampf um das Stück und gegen sich selbst im Vordergrund steht?

Das Auftreten vor Menschen ist nicht leicht. Die Aufgabe, sich einer vermeintlich gleichen, aber doch immer wieder neuen Herausforderung zu stellen, ist immens. Könnte man sich nicht eine Lust bewahren, würde das nicht funktionieren. Das hat auch mit einer Form der Bestätigung zu tun, dass man zu so einer Leistung überhaupt in der Lage ist, dass man sich gewiss ist, diese Art der musikalischen Verführung vorzunehmen. Das ist eine Mischung aus einem sehr ernsthaften Vorgehen und einer spielerischen Lust.

Manche Musikstücke haben durchaus mit Strapazen zu tun. Wie körperlich kann man Musik erleben?

Das hängt in der Tat sehr von der Literatur ab. Manche Stücke bedeuten eine extreme physische Selbstentäusserung, andere verlangen einem weniger ab. Entscheidend ist aber auch der Typus des Interpreten. Es gab einen wunderbaren Film, der einen Vergleich zwischen Bernstein und Karajan beim Dirigieren einer Mahler-Symphonie gezeigt hat, das war faszinierend. Bernstein war schweissgebadet, sein ganzer Körper war verändert, in einem halluzinatorischen Zustand. Bei Karajan hingegen war es ein eleganter und vergleichsweise anstrengungsloser Umgang mit der Materie – zwei grossartige Musiker und doch zwei völlig verschiedene Herangehensweisen.

Auch im Erleben von Musik gibt es grosse Unterschiede. Warum sind die körperlichen Reaktionen von Zuhörern im klassischen Bereich so anders als etwa in der Popmusik? Hat das vor allem mit Sozialisation zu tun?

Mit Sozialisation sicher, aber auch mit dem Charakter einer Musik und mit ihrer Präsentationsform – allein die schiere Lautstärke bei Popkonzerten, die satten Bässe, das ist eine ganz andere körperliche Ansprache. Die Reaktion auf die Musik wird geradezu provoziert, vor allem wenn Menschen mit Charisma auf der Bühne stehen wie Mick Jagger, da wird man zu anderen Dingen animiert als bei einem Schubert-Streichquintett. Die Schleusen in den Körper müssen bei klassischer Musik auf subtilere Weise geöffnet werden.

Man könnte aber sagen, dass Musiker wie Van Morrison oder Leonard Cohen durchaus in der Tradition eines Schubert stehen?

Ja, die sind zwar in den Pop-Kanon aufgenommen, aber gewissermassen die Lyriker der Popmusik, die einen ähnlich verfeinerten Zugang ermöglichen wie in der Klassik. Auch da findet in den besten Momenten dieses Wunder statt, dass ein Song alles möglich macht, in diesen drei, vier, fünf Minuten ist die ganze Welt enthalten. In den gelungensten Fällen ist das eine Mitteilung, die gar nicht den Weg durch das Gehirn beansprucht, sondern direkt ins Herz geht.

Musik hat etwas ungemein Verbindendes, man spricht von einer internationalen Sprache, die jeder versteht. Auf der anderen Seite erleben wir gerade wieder schmerzlich die politische Dimension der Musik, weil sie plötzlich nach Nationalitäten beurteilt wird und russische Künstler aus dem Konzertleben verbannt werden. Ist das nicht ein kultureller Rückschritt?

Die Krise, die wir gerade durchleben, hat natürlich ganz konkrete politische Gründe, ist aber im Grunde auch eine Folge des Phänomens «Cancel Culture», das ist eine Art von ungeschriebenem Gesetz geworden, ein Bruch, der immer rigoroser wird. Das ist in meinen Augen unstatthaft, eine gefährliche Einengung unserer Welt – vor allem wenn man bedenkt, dass gerade noch «Multi-Kulti» das Zauberwort war. Die aktuelle Kriegssituation erzeugt Reaktionen, die zum Teil nachvollziehbar sind, aber ich glaube nicht, dass man sich auf der richtigen Seite wähnen kann, indem man Pauschalurteile und eine Kollektivschuld über das russische Volk formuliert und sich dadurch gewissermassen frei macht von allen Zwischentönen. Man kann die Welt nicht nur in Schwarz und Weiss sehen.

Wird die aktuelle Situation auch noch Auswirkungen auf den Spielplan der diesjährigen Festspiele haben?

Das kann ich noch gar nicht genau sagen und das wird wohl erst zu Beginn der Festspiele klar sein. Da gibt es einen ethisch-moralischen Aspekt, aber auch technische Gründe wie die Möglichkeit des Reisens und die Bereitstellung der nötigen Visa. Ich bin mir nicht sicher, ob uns da noch was ins Haus steht. Wir haben aber pandemiebedingt schon eine gewisse Übung im Modifizieren von Programmen bekommen.

Worauf freuen Sie sich bei diesen Festspielen besonders?

Ich freue mich auf die Festspiele an sich – auf das, was wir alle im Festspielhaus in anstrengenden Monaten des Lockdowns zusammenfantasiert haben, ich freue mich auf den kostbaren Moment, an dem es wieder losgeht und die ersten grossen Opernpremieren stattfinden – der Augenblick, in dem sich die Stadt völlig verändert. Und auf die Zeit vor der grossen Anspannung, die ersten zwei Probenwochen, wo alles entsteht, das grosse Kribbeln, das ist wirklich unvergleichlich.

Vielen Dank für das Gespräch!

salzburgerfestspiele​.at