Helge Timmerberg folgt keinen Reisetrends, er setzt sie. Der Autor und Weltenbummler im Talk.
Er wird nicht ohne Grund gern als der schrillste, unterhaltsamste und weiseste deutsche Reiseschriftsteller bezeichnet. Helge Timmerberg ist 70 und kein bisschen leise. Zu seinem Geburtstag schenkt sich der exzentrische Weltenbummler ein neues Buch – und moments ein spannendes und sympathisches Interview über die Kunst des Reisens.
Sie leben neben Berlin, St. Gallen und Marrakesch auch in Wien. Was haben Sie dort Neues entdeckt?
Das für mich Neue in Wien war die Schönheit des Alten.
Ihr Geheimtipp? Etwas, das für Sie zu Wien dazugehört …
Das Widersprüchliche an Geheimtipps in tausendfach gelesenen Publikationen liegt auf der Hand. Sie sind danach nicht mehr geheim. Ich werde den Teufel tun, hier meinen Lieblingspark in Wien zu benennen, denn was ihn für mich so attraktiv macht, ist die Abwesenheit von Touristen. Auch meine Lieblingsbank im Prater möchte ich nicht ständig besetzt vorfinden. Dasselbe gilt für meine Lieblingslokale. Das «Bricks» in der Wiener Taborstrasse kann ich jedoch verraten. Die beste Disco seit den 50er-Jahren ist eh immer bumsvoll.
Vorbereiten – oder einfach treiben lassen? Wie reisen Sie?
Das ist ein ewiger Konflikt. Zu viel Vorbereitung bremst das Abenteuer aus, zu viel treiben lassen wird zu teuer. Die Kombination von beiden ist die Meisterklasse beim Reisen, und ich balanciere das jeden Tag aufs Neue aus.
Wie suchen Sie Ihre Reiseziele aus?
Ich höre auf meinen Bauch und die Wetternachrichten.
Welcher Ort steht noch auf Ihrer Bucket List?
Ein Ort, an dem ich noch nie war? Und den ich unbedingt noch sehen will? Nein, da fällt mir keiner ein.
Hat die Pandemie Ihren Blick aufs Reisen verändert?
Ich fahre fast nur noch mit dem Auto. Wer soll mich da anstecken? Über die Grenzen kommt man damit auch leichter. Fliegen, vor allem interkontinental, wird ein bisserl uncool, weil man nie weiss, ob und wie man wieder zurückkommt. Und niemand will in Israel in Quarantäne gehen. Die machen das mit elektronischen Fussfesseln.
Wird Reisen allgemein durch die Pandemie individueller?
All-inclusive-Urlaub war für mich noch nie ein Traum. Ich hab’s einmal versucht, auf Jamaica. Und das auch nur für eine Geschichte. Also berufliche Qualen. Trotzdem habe ich es nach drei Tagen nicht mehr ausgehalten.
Welchen Trends in Sachen Reisen folgen Sie?
Wer macht die Trends? Die Mode? Der Zeitgeist? Die Evolution? In den 70er-Jahren reiste ich hauptsächlich durch den Orient und Indien, in den 80ern durch Südostasien und in den USA, in den 90ern waren Marokko, Kuba und der Amazonas fällig, und seit dem Jahrtausendwechsel liebe ich Europa. Den Süden und den Osten. Der Norden ist weder klimatisch noch atmosphärisch mein Ding. Ich glaube, das sind Trends, die das Alter setzt. In der Jugend war ich spirituell eingestimmt, als Erwachsener reizte mich die Herausforderung, jetzt hab ich’s gern gemütlicher. Palmen, Rotwein, schöne Gassen.
Nachhaltigkeit – abgedroschen oder Teil Ihres Reisens?
Die Eindrücke sollten nachhaltig sein.
Ihr neues Buch hat den Untertitel «70 werden». Hat das etwas verändert?
Ja. Es sind jetzt nur noch zehn Jahre bis 80.
Im Buch widmen Sie sich aussergewöhnlichen Themen: Wie viel kostet denn nun ein Altersheim in Thailand?
Ich hab’s leider vergessen. Ich weiss nur noch, für mich war es zu teuer. Es sei denn, ich schreibe bis ans Ende meiner Tage Bestseller.
Wüsten, Regenwald, Grossstadt – wo erleben Sie Reisen am intensivsten?
Der Sternenhimmel über den Wüsten bringt die Frage nach der Grösse des Universums mit sich, im Dschungel regiert das Adrenalin, und in den grossen Städten, ich denke da mal spontan an Kalkutta, übernimmt das grosse Staunen. Auch die grosse Liebe. Zur Menschheit, in all ihren Facetten.
Ganz praktisch: Wie sammeln Sie Ihre Ideen/Erinnerungen für Ihre Bücher?
Früher schrieb ich viel in Notizbüchern auf, aber irgendwann stellte ich das komplett ein, weil folgende Erkenntnis reifte: Was mich auf Reisen berührt und beeindruckt, vergesse ich nie. Und über das, was mich nicht berührt und beeindruckt hat, will ich nicht berichten. Das gilt selbst für Interviews. Ich erinnere mich problemlos an gute Sätze.
Sie hatten als 17-Jähriger im Ashram in Indien die Eingebung, Journalist zu werden. Eine gute Geschichte?
Die besten Geschichten sind die wahren. Und was soll daran so unwahrscheinlich sein, mit 17 seine Berufswahl zu klären? Und was die Exotik des Ortes betrifft, an dem das geschah, würde ich gern Gunter Sachs zitieren. Auf die Frage seiner Manager, warum er so selten in seinem Chefbüro anzutreffen sei, sagte er: «Die besten Geschäftsideen habe ich am Korallenriff.»
Können Sie sich noch an Ihre erste Reise als Journalist erinnern?
Meine erste deutschlandweite Reise war eine Reportage über Strassenmusiker für den Stern. Das war Ende der 70er-Jahre. Anfang der 80er reiste ich für den Playboy zum ersten Mal beruflich nach Indien. Daraus entstanden zwei Reportagen: «Tiger fressen keine Yogis» und «Where we goa now?». Aber ich schrieb auch mein erstes Buch über diese Reise: «Im Palast der gläsernen Schwäne: Mit dem Fahrrad durch Indiens Süden».
Wie stehen Sie zu Reisesouvenirs?
Früher nahm ich gern Hoteltassen, Flugdecken, Schachbretter aus Sandelholz und Hängematten mit nach Hause, heute konzentriere ich mich auf Kühlschrankmagneten.
Gefällt Ihnen der Trend, dass jeder einen Reise-Blog starten kann und Influencer weltweit posten?
Das Internet ist ein gerechtes Medium. Jeder hat eine Chance. Das gefällt mir gut. Und jeder hat die Chance, sich das nicht anzusehen. Das gefällt mir auch gut.
Vielen Dank für das Gespräch!
Abenteuer Leben
Helge Timmerberg wurde 1952 im hessischen Dorfitter geboren, ist Journalist und schreibt ReiseReportagen aus aller Welt. Unkonventionell fängt er den Geist verschiedener Kulturen, Länder und Menschen in seinen Texten ein. Er veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung, Die Zeit, Stern, Spiegel u. a. Er schrieb unter anderem die Bücher «Im Palast der gläsernen Schwäne», «Tiger fressen keine Yogis» und «In 80 Tagen um die Welt».
Zu seinem 70. Geburtstag ist sein neuestes Buch «Lecko Mio – Siebzig werden» im Piper Verlag erschienen. piper.de
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