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Jung-Designer Marco Brunori revolutioniert mit seinen innovativen Entwürfen für Renault die Automobil-Branche. 

Dort, wo Marco Brunori aufgewachsen ist, war ein Auto gar keine unbedingte Notwendigkeit, erinnert er sich. Zumindest als Kind und Jugendlicher bewegte er sich nah an der Natur, fuhr mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln. Bern gehört mit rund 130000 Einwohnern nicht gerade zu den hektischen Zentren Europas. Die mittelalterlich geprägte Altstadt zählt seit dem Jahr 1983 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Vom Berner Münsterturm bietet sich ein guter Ausblick auf die Aare, die wie eine Schlange die Altstadt umkreist. Viel Ruhe, ein gemütliches Lebens­tempo, viel Freiraum für Kreativität. Das Autofahren ist dem 30-jährigen Desi­gner vor allem aus dem Urlaub in Erinnerung geblieben: «Einmal im Jahr fuhren wir nach Umbrien, in die Heimat meines Vaters. Das Unterwegssein, die Tunnel und Mautstationen, Raststätten und Lastwagen: All das übte eine gewisse Faszination auf mich aus», erklärt er im Gespräch.

Früh übt sich

Klar, Autos mochte er schon immer – aber das ist ja bei kleinen Jungs nicht unbedingt etwas Ungewöhnliches. Doch das, was Marco Brunori vielleicht von seinen Freunden unterschied, war die Leidenschaft zum Zeichnen, die er mit seiner Liebe zu Autos verband. Aufs Papier kam bei ihm nicht unbedingt der funktionale Kombi seiner Eltern, sondern eben die schickeren Model­le, neueste Flitzer genauso wie ausladende amerikanische Schlitten aus den 1960ern. Schon als Jugendlicher besucht Brunori Automessen wie den Genfer Salon oder Oldtimer-Treffen, um sich inspirieren zu lassen. Bald kann er zahlreiche Automodelle auswendig zeichnen und tut das auch in jeder freien Minute. Dass er Desi­gner werden möchte, stand schon im zarten Alter von zwölf Jahren für ihn fest. Beim Betrachten eines Auto-Sachbuchs wird ihm nämlich eines Tages klar, dass sich sein Hobby, das Autozeichnen, auch beruflich umsetzen lässt. «Da sah ich zum ersten Mal Bilder von Leuten am Clay-Modell (Tonmodellierung von Autoprototypen, Anm. d. R.) und Marker-Skizzen, das war ein Schlüsselerlebnis.» An der Hochschule Pforzheim in Deutschland studiert er zunächst Transportation Design. Bereits im Studium fällt sein Talent auf: 2010 gewinnt er den Designwettbewerb einer Autozeitung. Es ging um den Entwurf einer Vision auf Basis des Peugeot RCZ. Gilles Vidal, Peugeot-Chefdesigner und Jurymitglied, war eigens aus Paris angereist und gratulierte dem jungen Ausnahmetalent zu seinem Gewinn: ein Praktikum in der Designabteilung von Peugeot in Paris. Heute ist Renault, ebenfalls in Paris ansässig, der Arbeitgeber von Marco Brunori. 

Nach dem Studium in Deutschland ging er aber erst einmal zurück in die Schweiz, zu Designwerk in Winterthur. Gemeinsam mit der Firma Micro – Erfinder des ersten Elektro-Tretrollers – entwickelt er den Micro­lino, ein Zwischending aus Auto und Motorrad, inspiriert von den Kabinenrollern der 50er-Jahre, vor allem der legendären Isetta. Der Auftrag war, ein batterieelektrisches Leichtfahrzeug zu entwickeln, das echte Nachhaltigkeit in der automobilen Fortbewegung schafft. Denn, so hatte ­Microlino Statistiken zitiert: In einem Auto sitzen im Schnitt 1,3 Personen, und es fährt täglich rund 35 Kilometer. Aber die meisten sind viel zu grosse SUVs mit gleich fünf Sitzen. Dieser Ressourcenvergeudung Abhilfe zu schaffen und dabei mit styli­shem Retro-Design aus der Öko-Ecke zu treten, war das Ziel. 2016 sorgte die Testfahrt der smarten Kugel in der Zürcher ­Innenstadt für grossen Andrang. Beim ­Microlino durfte Marco Brunori sich auf einem weissen Blatt Papier austoben – im Gegenteil zur Arbeit etwa an Gross­serienfahrzeugen. Da stehen Vorgaben wie die Aussenmasse, der Radstand oder die Position der Windschutzscheibe meist schon fest. In die Serienproduktion hat es der Microlino bislang noch nicht geschafft. Nach Angaben von Micro soll der Micro­lino ab 2021 aber in einer überarbeiteten Version produziert werden.

Teamwork gefragt

Hat er als Jugendlicher noch allein Autos gezeichnet, so ist die Arbeit als Designer ­alles andere als solitär, meint Brunori. Es ist eine ständige Kommunikation mit dem Team und den Auftraggebern. Eine Mischung aus kreativem Eigenbrötler und kompromissbereitem Teamplayer scheint optimal zu sein, um den Alltag als Designer zu meistern. Bei Renault, seinem Arbeit­geber seit 2015, ist der Start von Serien­­projekten erst einmal ein firmeninterner Entwurfswettbewerb. Fünf Entwürfe werden ausgewählt und in Clay (Industrieplastillin) umgesetzt. In mehreren Runden wird über die Entwürfe entschieden, bis nur noch ­einer übrig bleibt: das Gewinnermodell. Oft beinhaltet es zu diesem Zeitpunkt allerdings auch Elemente seiner Konkurrenten, die es nicht geschafft haben. Als Angestellter einer Firma muss der Designer sich im hauseigenen Stil bewegen und diesen trotzdem weiterentwickeln. «Ich ziehe es vor, meine Entwürfe auf ein, zwei prägnante, von Weitem erkennbare Elemente zu beschränken», ­beschreibt Marco Brunori diesen kreativen Spagat. «Wichtig ist mir zudem, zwischen Front, Seite und Heck eine visuelle Kohärenz zu schaffen und raffinierte, auf den zweiten Blick erkennbare Details auszuarbeiten.»

Design nach Mass

Design, das ist die formgerechte oder funktionale Gestaltgebung eines Gegenstands. Design kann beispielsweise klassisch, funktionell, raffiniert, protzig oder auch postmodern sein. Vor allem aber beeinflusst der Gegenstand, der designt werden soll, die Konzeption. Beim Auto ist der Faktor Bewegung zentral. Und zwar auch wenn es stillsteht, erklärt Marco Brunori. «Ein gutes Fahrzeugdesign soll ja auch im Stand kommunizieren, dass es sich um ein bewegendes Objekt handelt.» Beim Autodesign dreht sich vieles um die richtigen Proportionen, damit sich gewünschte Attri­bute wie etwa «elegant» oder «rassig» vermitteln lassen. Das kann mit dem Radstand, dem Verhältnis der Radgrösse zur Gesamthöhe, mit Überhängen vorn und hinten, mit der Länge der Haube oder auch ansteigenden oder fallenden Linien vermittelt werden. Ein Auto erzählt auch etwas über das Wertesystem des Besitzers oder der Besitzerin: Protziges Zurschaustellen von Reichtum oder lieber dezentes Understatement, durchzogen von subtilen Details? Der erste Anblick eines Autos, der erste Eindruck, er soll sitzen. Genauso wie auch die berühmten ersten Sekunden zwischen zwei Menschen entscheidend für Sympathie oder Antipathie sein können, soll eben auch das Auto durch sein Design einen guten Auftritt hinlegen.

Elektrisch unterwegs

Das Metier hat sich im Verlauf seiner fast 150-jährigen Geschichte natürlich immer wieder gewandelt. Gegenwärtig sind es das Klimabewusstsein und die Erkenntnis, dass das traditionelle Auto mit seinem Energieverbrauch für die Zukunft nicht wirklich gewappnet ist. Die Entwicklung von Elektroautos schreitet stetig voran, und mit ihr tun sich auch neue Design­fragen auf. Die heute kommerziell erfolgreichen Elektrofahrzeuge sind beispielsweise gewollt so gestaltet, dass sie nicht als solche erkennbar sind, erklärt Marco Brunori. Die Kundin und der Kunde möchten das Auto zumindest äusserlich im alten Stil weiterfahren. Elektroautos sind aber ­wegen der Batterien im Boden höher, was wiederum durch grössere Räder kompensiert wird. Zudem rückt die Frontscheibe nach vorn, denn der Motor unter der Haube fällt bei E‑Autos weg.

Autodesign hört sich an wie ein klassischer Männerberuf, doch auch das hat sich gewandelt, freut sich Marco Brunori. Mittlerweile sind auch viele Frauen mit dem guten Aussehen von Autos beschäftigt. Das typische Männlichkeitsideal beim Erscheinungsbild der Autos selbst sei aber immer noch en vogue, beobachtet Marco Brunori. «Autos mit animalischer Mimik und üppig dimensionierten Kühlergrills sind nach wie vor beliebt bei Kunden beider Geschlechter – Stichwort ‹Überholprestige›.» Seit den 2000er-Jahren werden aber auch freundlich gestylte Retro-Modelle immer beliebter. Klein, kugelig – wie der Microlino, den Brunori vor ein paar Jahren entworfen hat. Von den 1930er- bis zum Ende der 1960er-Jahre waren Autos von fliessenden, runden Formen geprägt – zum Beispiel der Käfer von Volkswagen oder die Ente von Citroën. Danach übernahmen Designer eher geometrische Konzepte aus der Architektur. Fahrzeuge wurden sehr geradlinig, kantig und schlicht. Einer der ersten Vertreter dieser Stilrichtung war der Fiat 130. In den 1980er-Jahren kamen dann wieder organischere Formen in Mode. Im Zuge der Ölkrise waren eher ­aerodynamisch vorteilhafte Karosserien gefragt. In den 90ern endete die strikte Unterteilung in Front, Seite und Heck, die Formen flossen ineinander. Und heute? «Seit der Jahrtausendwende sucht man nach maximalem sogenanntem Drama im Blech, also stark kontrastierte Licht- und Schattenspiele durch Sicken oder Rundungen», so Marco Brunori.

Konzept mit Zukunft

Für Renault hat Marco Brunori vor Kurzem wieder ein bemerkenswertes Modell entworfen: das Concept Car «Morphoz». Ein schnittiges Elektroauto, das sich je nach Bedarf vom Mini zum Maxi verlängern lässt. Er kann sich vorn um fünf, hinter den Vorderrädern um 20, am Heck um 15 Zentimeter strecken. In der Stadt ein wendiger kleiner Flitzer, der aber auch zum bequemen grossräumigen Reisewagen ausgeklappt werden kann. Der Beifahrersitz lässt sich nach hinten drehen, dann wird aus dem Auto eine kleine Lounge. Die Weltpremiere am Genfer Salon 2020 musste wegen der Coronakrise leider entfallen. In Serie gehen wird der «wachsende Wagen» wohl auch eher nicht. Obwohl sich der Morphoz für Marco Brunori sicher gut eignen würde, um damit den Brunori-Fami­lienzweig in Umbrien mal wieder zu besuchen – statt des alten Kombis. 

Vom Studium zum Concept Car

Marco Brunori wurde 1990 in Bern geboren. Sein Talent als Designer wird früh erkannt: Schon als junger Student gewinnt er mit seinen Entwürfen viele Wettbewerbe. Nach der Schule folgt ein Transportation-Design-Studium im deutschen Pforzheim. Erster Arbeitgeber nach der Ausbildung ist das Designwerk in Winterthur. Dort macht sich ­Marco Brunori unter anderem mit dem ­Modell des Elektroflitzers ­«Microlino» einen Namen. Ein Auto wie eine kompakte, wendige kleine Kugel im Retro-Design, mit der auch quer parkiert werden kann. Brunori nahm sich alte Kabinenroller zum Vorbild für den kleinen Elektro-Winzling. Mittlerweile ist Marco Brunori Senior Exterior Designer bei Renault in Paris. Als solcher war er etwa am aktuellen Facelift des Renault Espace beteiligt und gestaltete zuletzt das spektakuläre Concept Car Renault «Morphoz»: ein Auto, das je nach Bedürfnis wachsen und schrumpfen kann. Woran Brunori ­momentan arbeitet, darf er nicht verraten. Seine fertigen Modelle, aber auch diverse Fantasieprojekte veröffentlicht er in Form von Zeichnungen auf seiner Webseite. 

marcobrunori​.com