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Sie haben unsere Welt durchdrungen, die kleinen bunten Bausteine von Lego. Was als Spielzeug gedacht war, ist Gegenstand der Alltagskultur geworden, Filmstar, Designstück und Wertanlage. Eine ungewöhnliche Karriere.

Sie sind allgegenwärtig. In Bodenritzen und Wohnungswinkeln, sie finden ihren Weg in die Wäsche, tauchen als Quell des Malheurs auf, wenn versehentlich draufgetreten wird – Legosteine. Klein, bunt und unverwüstlich. Tatsächlich scheint ihnen nichts etwas anzuhaben. Nicht Staub, nicht Wasser, Lauge oder Sonnenlicht, auch nach Jahren büssen sie nichts von ihrer Farbenpracht ein, sie werden nicht alt und auch nicht mürbe. Mit einem leisen Klick fügen sie sich zusammen zu Häusern, Autos, Flugzeugen oder Raumschiffen. So wie sie das immer schon getan haben. Seit es sie gibt. Längst schon sind sie allgegenwärtig. Im Durchschnitt kommen auf jeden Menschen dieses Planeten rund 95 der kleinen Kunststoffsteine. Und stündlich werden es mehr. Es liesse sich unsere Zeit mit Fug und Recht auch als die Legozeit beschreiben, als eine Epoche der Menschheit. Und wir befinden uns mittendrin.

Schicksals-Stein

Dabei war das so gar nicht absehbar. Damals, 1932, als Tischlermeister Ole Kirk Christiansen im dänischen Billund beginnt, Holzspielzeug herzustellen. Diese Geschichte erzählt der Konzern gern. Er erzählt sie auch gut. Denn es ist eine Geschichte, die von Schicksalen handelt, von Verzweiflung, von Zielen und Jahren rasiermesserscharf am Rande des Ruins balancierend – und letztlich vom Erfolg. Und die Geschichte verleiht dem grössten Spielzeugproduzenten der Welt mit rund 14000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von umgerechnet CHF 5 Milliarden ein ganz und gar freundliches Gesicht. Das braucht ein Konzern dieser Grösse. Also: Es war einmal ein Witwer, der hatte vier Söhne und kein Geld. Aber er hatte Fantasie und Mut und guten Willen. Vor allem hatte er einen Sohn, der ihn unterstützte. In allen Belangen, besonders in den kaufmännischen. Gemeinsam ersannen sie Lego, aus dem dänischen «Leg godt» (Spiel gut) hergeleitet, und arbeiteten sich über einfaches Holzspielzeug bis zu jenen kleinen Plastikteilchen empor, die wir heute kennen. So erzählt ein Animationsfilm im Auftrag von Lego die Historie. Kindgerecht und schlicht und einfach. 2012 wurde der Streifen lanciert. Pünktlich zum 80. Jahrestag der Gründung des Unternehmens und bemerkenswerterweise nicht mit Legofiguren, was eigentlich auf der Hand gelegen hätte, als Lego längst schon eine überaus fruchtbare und gewinnbringende Beziehung mit Hollywood eingegangen ist. Die kleine Werkstatt von anno dazumal ist nur noch eine ferne Erinnerung.

Innovation mit Zapfen

Die Idee, Bausteine mit Zapfen zu versehen, war bereits im 19. Jahrhundert aufgekommen und mit den Anker-Bausteinen verwirklicht worden. In Grossbritannien kam 1932 Kiddicraft auf den Markt, im Grunde dieselbe Idee, wie sie die Dänen hatten (und im Vereinigten Königreich auch patentrechtlich geschützt – aber nur im Königreich). Die Christiansens liessen sich ihr Prinzip, das sie 1949 zur Marktreife gebracht hatten, 1958 patentrechtlich schützen. Das Design hatten sie, notabene, von Kiddicraft übernommen. Nach dem Tod der Eigentümerin Hilary Fisher erwarb Lego die Patentrechte der englischen Konkurrenten. Und war nun zur Stelle, im Zuge von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder ein einfaches, buntes, freundliches, zudem ewig erweiterbares und günstiges Kinderspielzeug anzubieten. Ein Renner. Und eine Geduldsprobe für Kinder. Da wird Stein auf Stein gesetzt, werden nicht nur Mauern hochgezogen, sondern auch Dächer errichtet, und just in dem Moment, zu dem der letzte Stein, der Schlussstein, gesetzt werden soll, bricht das gesamte Konstrukt in sich zusammen. Katastrophe. Drama. Verzweiflung in den Kinderzimmern, Wohnzimmern, in Fluren und Küchen. Wo auch immer gerade gebaut, errichtet und konstruiert wurde und wird. Heisse Tränen und aufrichtige Schwüre, niemals wieder auch nur irgendetwas mit Lego zu bauen. Um dann, alsbald, gebrochen zu werden. Um dem Konstrukt eine zweite Chance zu geben. Es nochmals zu versuchen. Einen anderen Weg einzuschlagen, Verbesserungen zu ersinnen.

Haufenweise

Es liesse sich Lego in all seinen Varianten, einerlei ob es sich um ein Haus handelt oder um den Millennium-Falken oder gar den Todesstern, der nicht und nicht werden will, als Mittel der Erziehung betrachten. Kaum irgendwo liegen Frust und Freude für Kinder so nah beieinander wie in diesem Fall. Kaum ein modernes Spielzeug erfordert mehr Konzentration, Fingerspitzengefühl und Geduld als ein Lego-Set. Generationen von Müttern und Vätern können darüber Zeugnis ablegen.
Über die Freude des Nachwuchses, wenn endlich das heiss ersehnte, im Katalog x‑fach betrachtete Set vorliegt – und dann Gestalt annehmen soll. Und manch ein Elternteil soll, so gehen die Gerüchte, Nächte damit zubringen, diverse Raumschiffe, Städte und Welten entstehen zu lassen, auf dass am nächsten Morgen endlich die Kinderaugen so strahlen, wie sie zu strahlen haben. Freudig. Unweigerlich indes fallen auch all diese Konstruktionen auseinander, ergeben ein wirres Durcheinander an Steinen und Gerätschaften. Ein Tohuwabohu, in dem Erwachsene wenigstens keinen Sinn und schon gar nicht die Rückkehr zu den ursprünglichen Modellen ersehen können. Das aber ist der Moment, an dem die Lego-Magie zu wirken beginnt. Wenn die Kinder, frei von Bauplänen und Vorgaben, müde der bewundernden Betrachtung des Legoraumfahrzeugs, anfangen, ihre ureigensten Varianten zu entwickeln. Das passiert unweigerlich. Dazu werden dann noch existierende Gebäude, Gefährte und Geräte jeglicher Art auseinandergenommen und nach passenden Stücken und Steinen durchforstet. Es werden Haufen errichtet, die sich in ihren Steinen fein säuberlich unterscheiden, es werden Systeme erdacht, eine kindliche Ordnung zu etablieren. 

Unbegrenzt kombinierbar

Längst schon wurde errechnet, wie viele Kombinationsmöglichkeiten sich mit einer Handvoll Steine ergeben. Mit zwei 4 × 2 Steinen ergeben sich 24 Kombinationen. Bei dreien sind es 1560, bei fünf sind es 10116403 und bei sieben sind es 85747377755. Oder, einfacher ausgedrückt, mehr als 85 Milliarden Möglichkeiten. Zu diesem Ergebnis kamen die Autoren einer Studie der Mathematischen Fakultät in Aarhus. Bei acht und mehr Steinen stiessen die Wissenschaftler an ihre Grenzen und zeigten sich überfordert. Die akademische Welt. Das ist die andere Seite des Konzerns. Sich auf die Produktion von mehr und immer mehr Steinen und Steinchen und Figuren zu konzentrieren, das war noch nie seines. Dass es eigene Lego-Parks gibt, geschenkt. Dass Batman und Co. als Legofiguren die Welt retten, ist ein ertragreicher Gimmick. Aber da ist noch mehr. Bereits in den 60er-Jahren wurde eine erste eigene Serie für Architekten aufgelegt, Scale Model – nur in Weiss und dazu gedacht, die Kreativität von Ingenieuren zu unterstützen. Von Dauer war dieser erste Schritt nicht. 1965 schon wurde die Serie eingestellt; 2005 mit der Serie Architecture indes wieder aufgenommen. Daraus sind Klassiker hervorgegangen, der Trevi-Brunnen, das UN-Hauptquartier in New York oder das Brandenburger Tor. Schnörkellos, edel, zeitlos. Ausstellungsstücke. Inzwischen schon erweitert um die Serie Skylines mit Venedig, Berlin, Sydney, Chicago, New York City und London sowie Shanghai.

Stein mit Grips

Es ist schon so, das dänische Unternehmen sichert sich Positionen in unvermuteten Ecken. So arbeitet die Lego Foundation seit mehr als 30 Jahren eng mit dem Media Lab des Massachusetts Institute for Technology (MIT) zusammen. Robotik ist das Thema, die Verschränkung mit der digitalen Welt, Modellberechnungen – wobei unter Modell in diesem Fall nun nicht mehr das nächste Set zu verstehen ist. Wenngleich diese Erfahrungen durchaus in die Arbeiten und Pläne des Konzerns einfliessen. Kein Wunder, dass längst schon andere Universitäten und Forschungseinrichtungen ebenfalls auf die kleinen Steine setzen, ihr Potenzial im Erdenken, Erstellen und Erproben von Thesen und Arbeiten nutzen. Es ist nun einmal eine Legowelt, in der wir leben. Im Übrigen auch für Anleger und Sammler. Die Rendite, die einzelne Sets im jungfräulichen Zustand bringen, kann sich sehen lassen. Ein Harry-Potter-Bausatz aus dem Jahr 2005 und damals zum Preis von CHF 31.80 zu haben, erzielt inzwischen rund CHF 425. Oder der Todesstern II der Star-Wars-Serie, der mit CHF 265 zu Buche schlug und heute mindestens CHF 2125 wert ist. Und der Millennium-Falke war 2007 für CHF 479 zu haben, heute wird ein originalverpacktes Set um CHF 4785 gehandelt. Auch hierzu gibt es eine Studie – diesmal von der Higher School of Economics in Moskau, die 2300 Bausätze aus den Jahren 1987 bis 2015 untersuchte und herausfand, dass kleinere Bausätze mit bis zu 340 Teilen im Schnitt eine jährliche Wertsteigerung von 22 Prozent erfuhren, grössere mit 1200 bis 6000 Teilen hingegen um nur zwölf Prozent zulegten. Das gesamte Legosortiment, so die Autorinnen der Studie, erzielte zwischen 1987 und 2015 eine Rendite von zehn bis elf Prozent. Das hört sich einigermassen krisensicher an. So finden sich die bunten Steine in fein durchdachten Portfolios wieder. Nicht nur in Winkeln, Ritzen und Wäschestücken. Sie begegnen uns in der Popkultur, im Interior Design und in der Forschung. Kein Zweifel, wir sind alle längst schon Lego.

Ganz exklusiv

Eiffelturm, Imperial Star Destroyer und Co.: die teuersten Lego-Sets.

Market Street – das zweite Set der Gebäudeserie für Erwachsene – besteht aus 1248 Teilen. Preis derzeit rund CHF 1485.

Café Corner – drei Etagen hat das Gebäude, 2056 Teile, und es erzielt gegenwärtig etwa CHF 1590.

Eiffelturm1,06 Meter hoch und selbst die französische Flagge muss aus Legosteinchen zusammengesetzt werden. Insgesamt kommt dieses Modell auf 3428 Teile und ebenfalls rund CHF 1500.

Imperial Star Destroyer – wer schon immer einen Darth Vader, ein Hologramm des Imperators und acht synchronisierte Kanonen sein Eigen nennen wollte, kommt um den aus 1359 Teilen bestehenden Raumkreuzer nicht herum. Der Preis liegt bei ungefähr CHF 1670.

Todesstern II – eine massstabgetreue Nachbildung des zweiten Todessterns aus Star Wars, 3447 Teile ab CHF 1670.

Mr. Gold – als die Minifiguren zehn Jahre alt wurden, erblickte Mr. Gold das Licht der Welt. In limitierter Auflage von 5000 Stück und etwa CHF 1803 wert.

Freiheitsstatue – dem grossen Vorbild gleicht sie bis hin zur sandgrünen Farbe der Steine. 2882 Teile und ein Wert von etwa CHF 2015.

Grand Carousel – hier wird es knifflig, denn das Karussell ist elektrisch betrieben, dreht und bewegt sich und lässt Musik erklingen. 3263 Teile ab gut CHF 2650.

Taj Mahal – das grösste je gebaute Lego-Set mit 5922 Teilen. Dazu werden Zeit, Geduld und rund CHF 2650 benötigt.

06. September 2021 Backcountry 02

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