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In Kopfform: Neurowissenschafterin Manuela Macedonia im Gespräch über die Liebe, das Leben, Lernen und warum Sie Ihrem Gehirn Beine machen sollten.

Keines unserer Organe erweist sich wohl als derart komplex und vielseitig wie das Gehirn. Als zentrale Steuerung der Gedanken, Gefühle und Erinnerungen bestimmt es vom Wohlbefinden bis zur Leistungsfähigkeit schlicht und einfach unser ganzes Leben. Und das pausenlos, in enormer Geschwindigkeit. Tempo ist wohl auch eines der zentralen Worte, das Dr. Manuela Macedonias Arbeitsweise prägt. Immer und überall erreichbar, kein To-do wird aufgeschoben, und selbst in ihrer Sprache setzt die renommierte Neurowissenschafterin auf Geschwindigkeit. Das Ergebnis: eine Fülle neuester Erkenntnisse in der Hirnforschung. Die gebürtige Italienerin widmet sich seit Jahren der grossen Frage: Wie lernt der Mensch? Sie weiss, wie man Fremdsprachen am besten erlernt, aber auch warum Sport vor Demenz schützt. Gerade das Thema «Bewegung und Gehirn» erweist sich dabei als Forschungsfeld mit enormem Potenzial. Ob Kind, Teenager, Erwachsener oder Senior – die Kognitionswissenschafterin wird nicht müde, die Bedeutung von Bewegung für die Leistungsfähigkeit des Gehirns zu betonen. Im Talk erklärt sie, wieso sie selbst für ihr Gedächtnis läuft und warum Diäten rein neurowissenschaftlich betrachtet einfach nicht funktionieren. 

Sie haben Linguistik studiert und sind dann Neurowissenschafterin geworden. Was reizt Sie an diesem Forschungsgebiet?
Ich bin im Aostatal geboren und daher früh mehrsprachig aufgewachsen. Meine Eltern sprachen Italienisch, im Kindergarten lernte ich Französisch, Deutsch sowie Englisch in der Schule, und mit 18 Jahren sprach ich bereits fünf Sprachen fliessend. Mich faszinierte daher die Frage «Wie lernt das Gehirn Sprachen?», und ich studierte Linguistik. Allerdings konnte mir dieses Studium nicht die Antwort darauf geben. Ich unterrichtete während des Studiums Fremdsprachen und bemerkte rasch, dass Vokabeln besser gelernt werden, wenn die Worte mit einer Geste verknüpft sind. Um diese Beobachtung theoretisch zu untermauern, machte ich mein Doktorat in Neurowissenschaften und promovierte zum Thema «Bewegung und Lernen». Danach ging ich ans Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften in Leipzig und konnte dort meine praktischen und theoretischen Erkenntnisse mit neurowissenschaftlichen Experimenten, die Verhalten und funktionelle Bildgebung verbinden, nachweisen.

Welche Methoden haben Sie bei diesen neurowissenschaftlichen Experimenten verwendet?
In Leipzig arbeiten wir mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT), mit der die Blutflüsse im Gehirn gemessen werden. Damit sieht man genau, welche Regionen im Gehirn durch welche Lernreize aktiviert werden. Die zweite Methode ist die Magnetenzephalografie. Sie kann einen Prozess im Gehirn innerhalb von Millisekunden nachweisen und aber auch – zwar nicht so genau wie die fMRT – lokalisieren. Und diese beiden Methoden setze ich ein, um sensomotorisches Lernen und Aktivitäten im Gehirn zu erforschen.

Welchen konkreten Einfluss hat demnach Bewegung auf das Erlernen von Fremdsprachen?
Wir konnten wissenschaftlich nachweisen, dass mehr Vokabeln gelernt und diese auch besser gemerkt wurden, wenn die Probanden sie während des Lernens mit einer Geste verknüpft hatten. Wobei es nicht nur mit konkreten Gesten wie etwa einem gezeigten Dach für das Vokabel «Haus», sondern auch bei abstrakten Vokabeln wie etwa «dennoch» funktionierte. Solche Begriffe wurden mit einer frei gewählten symbolischen Geste verknüpft. Dieser sensomotorische Lerneffekt ist nicht auf Sprache beschränkt, es funktioniert auch bei Mathematik etc. Auf diese Weise konnte bewiesen werden, dass Bewegung die Art und auch die Geschwindigkeit des Lernens revolutioniert. Was motorisch gelernt wird, kann leichter abgerufen werden. Die alte Trennung von Körper und Geist wird mit dieser Erkenntnis wissenschaftlich aufgehoben.

Wie formbar ist das Gehirn – welche Parameter sind vorgegeben? Und welche Rolle spielt dabei das Alter einer Person?
Das Gehirn ist plastisch und verändert sich ständig, je nach den Reizen, die ihm geboten werden. Optimal ist es, Sprachen oder auch andere Fähigkeiten in den ersten zehn Jahren zu lernen, da in der sogenannten sensiblen Phase bestimmte Bereiche im Gehirn reifen und somit besonders aufnahmefähig sind. Je älter wir werden, umso schwerer wird das Lernen. Deswegen sollten wir möglichst viel in der Kindheit und Jugend lernen, denn in diesem Alter ist das Gehirn besonders aufnahmefähig. 

Wie haben Sie selbst das Lernen während Ihrer Schulzeit erlebt?
Für mich als Teenager war die Schule schrecklich, das Mathematikbuch habe ich nicht nur einmal gegen die Wand geknallt, und ohne die Engelsgeduld meiner Mutter hätte ich die Schule nie abgeschlossen.

Aus heutiger Sicht – haben Sie dafür eine neurowissenschaftliche Erklärung?
Ja. In der Jugend baut sich das Gehirn um. Die Ausschüttung von Botenstoffen unterliegt grossen Schwankungen. Das kann zu emotionalem Ungleichgewicht führen, das oft schlechte Schulleistungen oder depressive Verstimmungen zur Folge haben kann. Bewegung hilft, um unser Botenstoffsystem nachhaltig ins Gleichgewicht zu bringen 

«Durch Bewegung wirkt man erwiesenermassen systemisch auf die Anatomie und Funktion des Gehirns ein.» Manuela Macedonia

Bewegung ist auch das zentrale Thema Ihres Bestsellers «Beweg dich! Und dein Gehirn sagt Danke». Wie darf man sich das vorstellen?
Durch Bewegung wirkt man erwiesenermassen systemisch auf die Anatomie und Funktion des Gehirns ein. Unser Gehirn funktioniert in Netzwerken, Zellen verbinden sich, um zu lernen und dieses Wissen auch wieder abzurufen. Damit diese Netzwerke gut funktionieren, braucht es Nervenwachstumsfaktoren. Mit fortschreitendem Alter verringert sich die Menge dieser Substanz, und die beste Möglichkeit, Nervenwachstumsfaktoren verstärkt zu bilden, ist Bewegung. Das gilt vom Kind bis zum Senior. Gleiches gilt auch für die Entstehung neuer Gehirnzellen. Diese werden ein Leben lang gebildet, vermehrt allerdings nur durch Bewegung. 

Ist die Art der Bewegung wichtig?
Ideal fürs Gehirn sind zyklische Bewegungen – etwa Laufen, Gehen, Radfahren, Schwimmen. Wir sprechen von mindestens einer Stunde Bewegung pro Tag, um einen Effekt zu erzielen. 

Multitasking, Reizüberflutung und Co.: Vor welchen Herausforderungen steht unser Gehirn in der aktuellen Zeit?
Es gibt hier kaum einen Unterschied zwischen früher und jetzt: Wir waren und sind immer noch multitaskingfähig. Allein das Autofahren etwa ist ein Phänomen des Multitaskings. Unser Gehirn muss dafür fit sein, um diese alltäglichen Herausforderungen zu meistern. Mit dem Alter schrumpfen jedoch die Regionen im Gehirn, die für das Multitasking zuständig sind. Mit Bewegung kann man diese schützen.

Die Gehirnleistung nimmt mit den Lebensjahren ab – ist es also noch sinnvoll, im Alter mit Bewegung zu beginnen?
Auf jeden Fall! Prinzipiell ist Bewegung eine präventive Massnahme gegen Demenz. Aber sogar in einem fortgeschrittenen Stadium von Alzheimer kann durch Bewegung noch eine Verbesserung eintreten. 

«Eine Stunde Sport pro Tag ist für mich und natürlich mein Gehirn fix eingeplant.» Manuela Macedonia

Wie beurteilen Sie Methoden des «Gehirnjoggings»?
Wissenschaftlich hat eine aktuelle Metaanalyse gezeigt, dass Gehirnjogging gar nichts bringt – ausser, dass man eine explizite Aufgabe vielleicht schneller löst, weil man sich genau dieser Aufgabe monatelang gewidmet hat. Gehirnjogging hat allerdings keinen Transfereffekt, sprich Kurzzeitgedächtnis und Multitasking-Fähigkeit werden dadurch nicht gestärkt. Da ist richtiges Jogging auf jeden Fall effektiver – für Körper und Geist.

Wie setzen Sie Ihre Ergebnisse im Alltag um?
Eine Stunde Sport pro Tag ist für mich und natürlich mein Gehirn fix eingeplant. Ich bewege mich bei jedem Wetter. Wie das konkret funktionieren kann, erkläre ich in meinem neuen Buch «Runter vom Sofa! Die 365 Tage Challenge».

Essen ist auch für das Gehirn ein wichtiger Faktor. Wieso können Diäten Ihrer Erkenntnis nach einfach nicht funktionieren?
Essen ist in unserem Gehirn mit Emotionen verknüpft. Die Vorgabe, sich gesund und nach Plan zu ernähren, kann kognitiv erfasst werden. Jedoch wird die Karotte im Vergleich zum Stück Kuchen wohl meist als Verzicht empfunden. Mit viel Willenskraft kann man den Gusto unterdrücken. Aber das funktioniert auf Dauer nicht. Unser Gehirn will durch Essen nicht nur mit Energie versorgt, sondern auch belohnt werden. 

Liebe gilt auch als ein Thema der Neurowissenschaft. Herz oder Hirn – wer spielt auf diesem Gebiet die Hauptrolle?
Liebe ist nicht mein Forschungsgebiet. Aber allgemein lässt sich dazu sagen, dass sich auch bei der Liebe alles im Gehirn abspielt. Die Welt durch die rosarote Brille zu sehen, ist nüchtern betrachtet einfach ein Überschuss an Dopamin im Gehirn. Nicht beeinflussbar ist, in wen man sich verliebt. 

Welchen Traum wollen Sie sich noch erfüllen?
Niemals in Pension gehen! Ich bin so neugierig und möchte so viel erforschen, dass ich mir gar nicht vorstellen möchte, ein Leben ohne anspruchsvolle Aufgaben zu führen. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Bewegte Hirnforschung

Dr. Manuela Macedonia studierte Linguistik und promovierte im Fach Kognitionspsychologie und angewandte Linguistik an der Universität Salzburg beim Gedächtnisexperten Wolfgang Klimesch. Am Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften Leipzig erforscht die gebürtige Italienerin die Vorteile des sensomotorischen Lernens. Seit 2012 ist sie an der Johannes Kepler Universität Linz tätig. Nachdem sie selbst mit Gedächtnisproblemen zu kämpfen hatte, läuft sie seit Jahren beinahe täglich – für ihr Gehirn. Macedonia ist auch erfolgreich als Autorin tätig. Aktuell: «Runter vom Sofa! Die 365 Tage Challenge» (Brandstätter Verlag) als praktische Ergänzung zu ihrem Buch «Beweg dich! Und dein Gehirn sagt Danke».

macedonia​.at

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15. Juni 2023 Swiss Design Awards 2023

Swiss Design Awards 2023

Quelle: BAK

Die Arbeiten der Finalistinnen und Finalisten sind in den parallel zur Art Basel sowie Liste Art Fair Basel und Design Miami/​Basel stattfindenden Ausstellungen Swiss Art Awards und Swiss Design Awards zu sehen. Die Besucherinnen und Besucher können zudem in das Schaffen der Preisträgerinnen und Preisträger des Schweizer Grand Prix Kunst/​Prix Meret Oppenheim eintauchen. Die Ausstellungen werden von Filmporträts sowie zwei Publikationen mit Exklusivinterviews mit den Preisträgerinnen und Preisträgern des Schweizer Grand Prix Kunst /​Prix Meret Oppenheim und des Schweizer Grand Prix Design begleitet.

Öffnungszeiten + Laufzeit:
13. — 18. Juni 2023
Di — Sa 10 — 20 Uhr
Do 10 — 22 Uhr
So 10 — 16 Uhr

swissdesignawards​.ch

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22. September 2021 Medici 01

Die Medici in New York

Die berühmte italienische Adelsfamilie ist zu Gast in Übersee.

Wie nahe Politik und die Kunst, Porträts zu malen zusammenhängen, zeigt das Metropolitan Museum in New York ab 26. Juni. Zwischen 1512 und 1570 waren es Künstler wie Raphael, Jacopo da Pontormo, Benvenuto Cellini und andere, die just dann die Elite der Stadt Florenz malten, als diese von der Republik zum Herzogtum wurde. Als sich die Bedeutung dessen, was es hiess, Florentiner zu sein, änderte, suchten auch die Künstler nach neuen Wegen, ihre Modelle zu malen. Cosimo I. de‘Medici unterstützte als Herzog von Florenz künstlerische Projekte, die das Erscheinungsbild der Stadt prägten. Gleichzeitig machte er Kultur zum politischen Instrument. Die Toskana-Metropole wurde zur Wiege der Renaissance, einige der bedeutendsten Porträts der westlichen Kulturgeschichte wurden damals gemalt. Das Metropolitan Museum zeigt neben Gemälden auch Zeichnungen, Manuskripte, Medaillen und mehr. 

The Met Fifth Avenue – New York City (USA)
«The Medici: Portraits and Politics, 15121570»
26. Juni bis 11. Oktober 2021
metmuseum​.org

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01. November 2021 Zukunft frei Haus 05

Zukunft frei Haus

Virtuelle Vernetzung, Augmented Reality, 3‑D-Druck – die Zukunft kommt zu uns nach Hause.

Das eigene Zuhause. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Hier leben, arbeiten, feiern, essen und tanzen wir – mit Freunden und Familie oder auch allein. Die eigenen vier Wände haben eine magische Kraft, gerade auch in Zeiten von Quarantäne und Social Distancing. Die Coronakrise hat uns gezeigt, dass ein Leben abseits von Grossraumbüro und Diskothek möglich ist und dass wir dennoch nicht vereinsamen müssen. Es waren technische Helferlein wie Video-Calls, Online-Museen und virtuelle Coaches, die uns das Leben, wie wir es kennen, weiterhin ermöglichten. Und dennoch ist dieser Akt erst die Generalprobe für den grossen Auftritt. In absehbarer Zukunft liegt uns die Welt im eigenen Wohnzimmer zu Füssen. Ein Blick in die Zukunft verrät, dass es keine virtuellen Grenzen geben wird und dass wir alles erleben können.

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