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Er stellt gern mal Dinge auf den Kopf. Topdesigner Sebastian Herkner liebt das Spiel mit Materialien.

Einst machte der «Bell Table» ihn berühmt, bei dem er formschön einen Messingtrichter auf einen Glastischfuss setzte. Generell steht der deutsche Kreative für eine Verbindung von traditionellem Handwerk und modernem Umgang, was ihm zuletzt den hochbegehrten EDIDA Award for Best Designer of the Year einbrachte. Im Talk verrät er, warum er lieber keinen Trends folgt und wie wichtig das richtige Material für sein Design ist.

Inwiefern sind Materialien Inspirationsquelle für Ihren Zugang zum Design?
Sehr stark. Da in unser aller Leben die Balance zwischen digitaler und analoger Welt eine grosse Rolle spielt, ist Material als etwas Greifbares besonders bedeutend. Es ist etwas, das wir mit unseren Sinnen allumfassend begreifen können, also auch riechen, ertasten – und das ist für mich auch das Spannende am Design. Design beschäftigt sich ja an sich mit der Formfindung und Funktion, aber eben auch stark mit der Balance zwischen Handwerk und Innovation.

Wie wählen Sie Materialien aus – und wie bringen Sie Althergebrachtes und Neues zusammen?
Mir geht es darum, das Spannende aus zwei Welten zu kombinieren. Einerseits möchte ich mich auf Materialien besinnen, die traditionellerweise verwendet wurden, andererseits auch neue Technologien einbringen. Wie man hier die Balance findet, ist gerade die Herausforderung. Es geht darum, technische Innovationen zu nutzen, wenn etwas damit erst umsetzbar ist. Beispielsweise bei einem Thonet-Stuhl zwar die Bugholztechnik, aber auch CNC-Fräsung zu verwenden. Gleichzeitig muss man auch sehen: Ein Handwerker hat seine Handschrift, es können bei einer Arbeit auch einmal Differenzen bestehen. Das sind gar nicht zwingend Fehler. Aber wenn ich weiss, dass der Glasfuss für den Bell Table von einem Handwerker geblasen ist, kann auch mal eine Luftblase entstehen. Gerade solche Imperfektionen sind es ja, die für das Echte stehen – im Gegensatz zur Massenproduktion, wo jedes Modell identisch ist. 

Was verbindet all Ihre Arbeiten für so viele verschiedene Produzenten? Wie würden Sie Ihren eigenen Stil beschreiben?
Dieser ist ganz stark von der Maxime geprägt, Begleiter für’s Leben zu schaffen. Hier zu hinterfragen, wer wie und wo produziert, sprich: den ganzen Entstehungsprozess zu durchleuchten. Und in den 16 Jahren, die ich nun mein eigenes Studio habe, war Nachhaltigkeit immer schon ein Begriff, lange bevor er in aller Munde war.

Wie wichtig war und ist es Ihnen, gegen den Strom zu schwimmen – wenn man sich den Bell Table ansieht, liegt diese Vermutung nahe …
Ich glaube, es ist falsch, mit den Trends zu gehen, weil sie – wie auch in der Modewelt – nur ein bis zwei Saisons halten. Mir geht es aber darum, langlebige Produkte zu kreieren, die man auch, wenn man sie aus irgendeinem Grund nicht mehr selbst besitzen möchte, guten Gewissens weitergeben kann. Bei jedem neuen Produkt stelle ich mir die Frage, wie ich es besonders machen kann. Beim Bell Table war es so, dass meine Idee, das ungewöhnlich massige, schwere Messingelement oben und den Glasfuss unten zu positionieren, die herkömmliche Anordnung der Materialien auf den Kopf gestellt hat. Gleichzeitig sind es nicht von ungefähr Materialien, die man aus einer anderen Zeit kennt. Mir ging es darum, eine Brücke zu schlagen und das Material respektvoll einzusetzen. Das Konzept hatte zwar von Anfang an viele Fans, aber ich habe trotzdem drei Jahre lang nach einem Produzenten gesucht. Denn manchen waren Messing und Glas zu altbacken, eigentlich war beides zu dieser Zeit out. Letztlich hat der Bell Table aber einen Trend ausgelöst, wieder mehr auf Materialien wie Messing, Glas, Marmor oder auch Teppich zu setzen. Es ist schön, zu sehen, dass ich einer der Impulsgeber für diese Renaissance war. Gleichzeitig geht es mir auch darum, Einzigartigkeit zu schaffen. Mir ist nicht so wichtig, dass etwas jedem gefällt. Ich finde, ein Entwurf darf auch mal irritieren. Essenziell ist, dass sich der Betrachter damit auseinandersetzt. Es geht mir um die Botschaft. 

Wie würden Sie diese formulieren?
Produkte sind Kommunikationsmittel. Sie erzählen Geschichten. Das Material, die Farbe, die Oberfläche werden von mir definiert und bilden eine Aussage für Qualität. Und ich will, dass meine Produkte für den täglichen Gebrauch sind, dass sie genutzt werden – im besten Fall von möglichst vielen Menschen.

Haben Sie ein Lieblingsmaterial?
Ich möchte mich da nicht so festlegen, es geht mir um das Echte. Aber Glas ist für mich besonders magisch. Es wird geschmolzen, ist dann eine honigartige Masse, wird in Form geblasen, ist plötzlich zerbrechlich und kostbar. Ich habe früh die Achtung für dessen Materialität gelernt – wer kennt das nicht: Die Grosseltern hatten besondere Gläser, die nur am Sonntag genommen wurden. Andererseits ist der Einsatz wichtig bei der Materialwahl: Wenn ich für Dedon arbeite, verwende ich deren spezielle Kunststofffaser, die im Aussenbereich äusserst robust ist. Diese hält unseren Jahreszeiten stand und verrottet nicht wie Naturmaterialien wie Bambus oder Rattan.

Inwiefern inspirieren Sie die Traditionen von Firmen wie Thonet und Wittmann, für die Sie arbeiten?
Es ist toll, wenn man für Unternehmen kreieren kann, die auf einem so grossen Erbe aufbauen. Meiner Ansicht nach kommt nach dem Slow Food nun auch das Slow Design oder auch Slow Furniture auf. Verbraucher interessieren sich dafür, wo Produkte herkommen, wer sie produziert. Dieser Wunsch hat sich durch die Pandemie verstärkt. Natürlich gibt es Onlineanbieter, die rasch viel verkaufen wollen, aber es gibt zum Glück auch Traditionsunternehmen wie Wittmann, bei dem mehr als hundert Jahre Geschichte mitschwingen. Der direkte Austausch mit der Unternehmerfamilie ist mir wichtig und ermöglicht es mir, hinter die Kulissen zu schauen, die Marke zu verstehen und auch die Handwerkerinnen und Handwerker zu treffen – einerseits schaue ich, was sie gut können, andererseits überlege ich auch, womit ich sie nochmals herausfordern kann. Produktentwicklung macht man nicht allein, daran sind viele beteiligt. Und selbst wenn in der Entwicklungsphase heute auch schon vieles virtuell funktioniert und Entwicklungsschritte über Whatsapp diskutiert werden, muss man letztendlich als Designer auf dem fertigen Stuhl sitzen können, um zu prüfen, ob bei diesem der Winkel der Lehne funktioniert.

Sie sagten einmal, auch gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen Ihren Stil – inwiefern?
Gerade die vergangenen zwei Jahre haben gravierende Auswirkungen auf meine Arbeit gehabt. Einerseits wurde ich in meiner Haltung bestärkt, mit feinen Manufakturen zu produzieren, andererseits war es mir zeitweise unmöglich, Handwerksbetriebe zu besuchen. So sind wir alle im Digitalen professioneller geworden. Wir haben gemeinsam mit unseren Partnern digitale Lösungen entwickelt, um Produktpräsentationen online zu veranstalten. Aktuelle Herausforderungen wie die Energiekrise lassen uns wieder aufhorchen und Prozesse der Herstellung überdenken. Letztendlich ist die Möbelbranche aber mit einem kleinen blauen Auge davongekommen, da gerade in diesen Zeiten Menschen sich darauf besinnen, ihrem eigenen Zuhause mehr Augenmerk zu schenken. Was jedenfalls bleibt: Mir geht es beim Design immer um Funktionalität, Qualität, Langlebigkeit, aber eben auch um eine klare Haltung.

Vielen Dank für das Gespräch!

sebastianherkner​.com