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Haptikforscher Martin Grunwald über die Kraft der Berührung.

Zwischen Bohrmaschinen, Drähten und allerhand anderer Gerätschaften ragt in der Ecke ein kleiner Schreibtisch hervor. Kaum zu glauben, dass hier international renommierte Pionierarbeit in Sachen Haptikforschung geleistet wird. Und zwar von Prof. Dr. Dipl.-Psych. Martin Grunwald, der an der Universität Leipzig sein Haptic Research Laboratory eingerichtet hat. Mit seinem engagierten Team erforscht der deutsche Wahrnehmungspsychologe den Tastsinn und seine essenzielle Bedeutung für unser Leben. Wieso wir uns unbewusst bis zu 400 bis 800 Mal täglich ins Gesicht fassen, eine Umarmung mehr tröstet als tausend Worte und analoge Erfahrungen durch digitale nicht ersetzbar sind, verrät er im Interview.

Prof. Dr. Grunwald, haben sich Ihre haptischen Erfahrungen in den letzten Monaten verändert? Greifen Sie weniger an seit der Corona-Krise? 

Ich persönlich habe als hauptberuflicher Haptiker mein Verhalten wenig geändert. Natürlich wasche ich mir öfter die Hände, und auch auf den Handschlag verzichte ich bewusst. Sonst aber hat sich mein haptischer Alltag kaum verändert.

Passend zum Thema Corona: Menschen greifen sich 400 bis 800 Mal täglich unbewusst ins Gesicht. Wieso? 

Wir sind eine der wenigen Gruppen weltweit, die dieses Phänomen erforscht. Die neurobiologischen Daten zu diesem Phänomen geben momentan noch Rätsel auf. Eine Vermutung gibt es jedoch bereits: Die Emotionalität ist im Lauf des Tages nicht stabil. Wir sehen, hören Dinge, die uns ablenken. Wenn die Reize von aussen zu viel Aufmerksamkeit fordern, hilft uns die unbewusste Selbstberührung, unsere Emotion wieder auf ein neutrales Niveau einzupendeln. Durch die Stimulation des Gesichts funktioniert das unbewusst. 

In Ihrem Buch «Homo hapticus» schreiben Sie, dass der Tastsinn wichtiger ist als Hören, Riechen und Schmecken. Wie ist das zu verstehen?

Am besten versteht man diese Aussage, wenn man den Blick auf die Biologie richtet. Sie sorgt dafür, dass alle Organismen auf dem Planeten fühlen, also Tastreize verarbeiten können. Diese Fähigkeit ist essenziell für jegliches Leben. Es gibt niemanden, der ohne Tastsinn auf die Welt kommt. Während etwa die Analyse von Schallwellen oder von Lichtquellen nicht unbedingt fürs Überleben notwendig ist. 

Sie beschreiben auch, dass eine Umarmung mehr trösten kann als tausend Worte? Wie funktioniert das?

Erstens hat jeder Mensch in den letzten Wochen der Schwangerschaft im Mutterbauch erste Kontakterfahrungen gemacht, die als prinzipiell positiv erlebt werden. Es war eng, warm, die Hand am Bauch der Mutter wurde gespürt, man wurde geschaukelt. All das registriert der Fötus und fühlt sich versorgt, geschützt und geborgen. Auf der Welt dann kommt der schützende, geborgene Körperkontakt zu Bezugspersonen. Der Organismus verwertet all diese Berührungsreize mit positiven Emotionen und positiver Biochemie – sofern kein Trauma erlebt wurde. Diese Körpererfahrungen bleiben ein Leben lang gespeichert und werden bei einer Umarmung abgerufen. 

Gibt es ein Forschungsergebnis, das Sie persönlich besonders bewegt hat?

Eines meiner Herzensprojekte ist die Entwicklung eines engen Körperanzugs, der das Tastempfinden und somit auch die Körperwahrnehmung von Magersüchtigen stimuliert. Diese Catsuits haben wir bereits vor vielen Jahren entwickelt, als wir in Experimenten herausfanden, dass sich die verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers auf eine Fehlfunktion jenes Teils des Gehirns zurückführen lässt, der für die Verarbeitung sensorischer Reize zuständig ist. Diese Anzüge werden bereits in renommierten Institutionen verwendet, weiter geforscht wurde jedoch nie – obwohl sich etwa ein Fünftel der Betroffenen zu Tode hungert. Das ist meiner Meinung nach ein Skandal. Wir brauchen weitere Forschungsdaten, um diesen körperorientierten Ansatz zu verbessern. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Einen Mäzen oder eine Mäzenin, damit noch viele spannende Forschungsthemen unseres Labors unbürokratisch realisiert werden können. Aktuell etwa die Frühchen-Forschung. Frühgeborene Babys haben oft Apnoephasen, die durch einen Berührungsreiz am Fuss verhindert werden können. Wir arbeiten gemeinsam mit der Klinik für Neonatologie ganz konkret an einer neuartigen Methode. Unser Ziel ist es, gerade diesen Babys einen guten Start ins Leben zu ermöglichen.

Vielen Dank für das Gespräch!

13. Februar 2024 Jeff Wall Fondation Beyeler 04

Jeff Wall in der Fondation Beyeler

Noch bis 21. April 2024 ist das fotografische Werk des renommierten Künstlers in der Fondation Beyeler in Riehen zu sehen.

Es ist die erste Werkschau des Künstlers Jeff Wall in der Schweiz seit fast zwei Jahrzehnten und sie ist in enger Zusammenarbeit mit dem kanadischen Fotokünstler entstanden. Der 1946 in Vancouver geborene studierte Kunsthistoriker gilt als Begründer der inszenierten Fotografie“ und hat seit den späten 1970er-Jahren massgeblich dazu beigetragen, die Fotografie als eigenständiges Bildmedium zu etablieren. Seine grossformatigen subtil komponierten Fotografien bestehen meist aus zahlreichen Einzelaufnahmen, die Wall digital zusammenstellt. Eine Methode, die er bereits seit den 1990er-Jahren immer weiter perfektioniert. Die Werkschau in der Fondation Beyeler zeigt in elf Ausstellungsräumen die bekannten grossen Dialeuchtkästen, Schwarz-Weiss-Fotografie aber auch farbige Fotodrucke und vereint so 55 Werke aus internationalen Museen, Privatsammlungen und dem Werkbestand des Künstlers. 

Jeff Wall
Fondation Beyeler
Bis 21. April 2024
fondationbeyeler​.ch

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24. Mai 2021 Aufmacher Wunder der Meere

Wunder der Meere

Am 8. Juni ist Tag des Meeres – spannende Fakten rund um unsere Ozeane.

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Rafael Edem Kouto 01

Swiss Design Awards: Der Nachhaltigkeitsfreund

Modedesigner Rafael Edem Kouto schafft mittels Upcycling Hochqualitatives und Kreatives.

Er sieht Mode als einen Ausweg aus dem Kapitalismus: Mittels Upcycling schafft Rafael Edem Kouto aus Gebrauchtem neue Kleidung und Accessoires und setzt mit traditionellen, handwerklichen Couture-Techniken und Handwerk seinen kompromisslosen Ansatz für Nachhaltigkeit um. Kouto hat Wurzeln in der Schweiz, Italien und in Togo. Er ist Mode- und Textildesigner und interessiert sich besonders für nachhaltige Strategien und Upcycling-Methoden. Sein Wunsch ist es, die Mode- und Textilindustrie in Sachen Umwelt, Nachhaltigkeit und Klimabewusstsein ein Stück nach vorne zu bringen und hochqualitative, kreative und günstige Kleidung zu schaffen, die aus der Masse heraussticht und den Zeitgeist trifft. Sein Ansatz ist es auch, die Ästhetik von afrikanischer und westlicher Kultur in seinen Arbeiten zu verbinden. 

Kouto studierte Modedesign in Basel und Amsterdam. Erste Sporen verdiente er sich bei Alexander McQueen, Maison Martin Margiela, Carven und Ethical Fashion Initiative. Seit 2017 betreibt er die Couture-Marke, die seinen Namen trägt. Seine Strategie ist es, Textilabfälle, tote Lagerbestände und Ähnliches weiter zu verwenden und sich dadurch in seinem Kreativ- und Produktionsprozess inspirieren und leiten zu lassen. Die Marke hat viele Auszeichnungen erhalten, darunter den Lotto Sport & Diesel International Talents Support Award 2019 und den Gebert Ambiente Design Preis. Den Swiss Design Award in der Kategorie Fashion und Textile bekam er bereits mehrfach. Ausgestellt wurden seine Schöpfungen unter anderem bei der Fashion Open Studio x Berlin Fashion Week und der Mode Suisse, Zürich sowie im Museum für Gestaltung, dem Textilmuseum St. Gallen und der State of Fashion Biennale in den Niederlanden. Rafael Edem Kouto hat eine Professur für Modedesign an der IUAV in Venedig inne, er lebt in der Schweiz und in Italien.

rafaelkouto​.com

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