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Ein kleiner Streifzug durch die Welt der neuen Patisserie.

Schon die Namen trugen schwer an ihrer Last: Donauwelle, Liebesknochen, Bienenstich und Schokokuss. Welche Wucht von Kalorien und Gelatine und wie spöttisch im Hintergrund Udo Jürgens´ unsterbliche Beschreibung des Mampfens: «Aber bitte mit Sahne …» In der Tat: Die Welt der Patisserie – zumindest ausserhalb Frankreichs, wo der luftige Baiser-Genuss seit jeher en vogue ist – ächzte lange unter ihrem Image der Fettbombenproduktion. Und so gehörte quasi seit Ewigkeiten der jovial-dicke Konditor ebenso zu den sofort abrufbaren Bildern des kollektiven Gedächtnisses wie dessen Kundschaft, bestehend aus wohlbeleibt-vergnügten Mamsells in Rüschenbluse und Plauderlaune. 

Dass sich seit einiger Zeit vieles grundlegend geändert hat und inzwischen nicht nur von «Patisserie 2.0» gesprochen, sondern auch in diesem Sinne zubereitet wird, ist nicht zuletzt gewitzten Frauen wie Manuela Radlherr zu verdanken, ihres Zeichens Chef-Patissière im Wiener Café Central. Nicht zufällig führt sie an einem der legendärsten Orte der Welt den Beweis, dass erstens süsse Kochkunst mitnichten allein eine Männerdomäne ist und zweitens Genuss tatsächlich ohne Reue sein kann. Lässt sich doch nicht nur Kaiserschmarren backen, ohne dass das Fett ungebührlich mitfeiert, sondern auch so manch Innovatives wagen. Die von Manuela Radlherr eigens zum 140. Jubiläum des Café Central kreierte «Central Surprise» führte jedenfalls kaum zu späteren bösen Überraschungen auf der heimischen Waage, da die feine Melange aus Orangenkaramell, bayrischer Creme, Sandmasse und Schokolade ebenso leicht verdaulich war wie es die gewitzten «Gebackenen Mäuse mit Erdbeer-Ribisel-Sauce» sind. Ganz zu schweigen vom flauschigen Wunderwerk «Lust auf Zwetschgen», das ebenfalls jeder Schwere gekonnt ein Schnippchen schlägt. Merke: Statt herkömmlichem Zucker kann es auch der gesündere Ahornsirup oder Honig sein.

cafecentral.wien

Auch mit Äpfeln weiss «Patisserie 2.0» ungleich mehr anzufangen, als es sich die Hefe-Verteiler von einst auch nur vorzustellen wagten. Zu verdanken ist diese Neuerfindung des Apfelkuchens Yoshiko Sato, die nach einer Station als Chef-Patissière im Zürcher Hotel Dolder Grand nun im gleichfalls renommierten Basler Restaurant Panorama (Tavero AG – F. Hoffmann- La Roche AG) bäckt und zaubert. Wobei ihr Geheimrezept ja eigentlich ganz transparent ist: Geboren 1984 in der nordjapanischen Präfektur Aomori – Heimat der berühmten Aomori-Äpfel – hatte Yoshiko Sato bereits auf den Fruchtplantagen ihrer Kindheit gelernt, was sich alles (und zwar ohne gefühlt meterdicken Hefeboden) aus dieser aromareichen Köstlichkeit machen liess. Inzwischen hat die Patissière erfolgreich an diversen internationalen Koch-Wettbewerben teilgenommen und gilt seither als veritabler «Jung-Star».

roche​.ch

Mittlerweile ist auch jenseits von Fernseh-Shows und werbeträchtig beworbenen Kochbüchern überall Kulinarisch-Süsses aufzuspüren ist – selbst in Berlin, das zuvor wohl eher nicht so mit der Kunst des Geniessens assoziiert werden konnte. Nun aber lässt sich in der Charlottenburger «Patisserie Avnon» entdecken, dass selbst Königsberger Krapfen noch einen Tick leckerer werden, füllt man sie mit Aprikosen-Yuzu. Diese Frucht hat Maître Gil Avnon während seiner Wanderjahre in Singapur entdeckt und verbindet sie nun mit den Rezepten seiner ostpreussisch-jüdischen Urgrossmutter. Während gleichzeitig seine luftigen Limetten-Törtchen unser aller Albtraum von Gelatine-überwucherten Zitronenscheiben auf ewig zum Verschwinden bringen. «Das Aroma», sagt Gil Avnon, «soll an die Haine des Mittelmeers erinnern», denn schliesslich ist «Patisserie 2.0» ja auch das: ein charmant eingehaltenes Versprechen von Weite und Welt, so ganz jenseits des Krachledernen längst anachronistisch gewordener Kalorienbomben.

patisserie​-avnon​.de